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Vollendet (German Edition)

Vollendet (German Edition)

Titel: Vollendet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Shusterman
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Schluss, klar, aber meine Väter sagen immer, das Furnier der Zivilisation hat einen zweiten Anstrich erhalten. Wie findest du das, Fry?« Er fährt langsam mit der Hand durch die Luft wie über einen glatt polierten Tisch. »›Das Furnier der Zivilisation‹? Meine Väter reden immer so.«
    CyFi ist abgehauen, auch wenn er das abstreitet. »Ich laufe nicht davon – ich laufe wohin«, hat er Lev erklärt, als sie sich kennengelernt haben, ohne ihm allerdings zu erklären, wo genau er hinläuft. Als Lev danach gefragt hat, hat CyFi nur den Kopf geschüttelt und gesagt: »Informationen erhalten Sie nur im Bedarfsfall.«
    Lev kann gut damit leben, CyFis Geheimnis nicht zu kennen. Ihm ist es egal, wo er hingeht. Ihm reicht es schon, dass CyFi überhaupt ein Ziel hat, denn das kann Lev gerade nicht von sich behaupten. Wer ein Ziel hat, hat eine Zukunft. Wenn dieser umbrahäutige Typ Lev ein Ziel geben kann, lohnt es sich, ihn zu begleiten.
    Kennengelernt haben sie sich in einem Einkaufszentrum, in das Lev der Hunger getrieben hatte. Nachdem er von Connor und Risa getrennt worden war, hatte er sich zwei Tage an abgelegenen Orten versteckt gehalten. Vom Überleben auf der Straße hatte er keine Ahnung, aber Hunger macht jeden zum Überlebenskünstler.
    Das Einkaufszentrum war für ein frischgebackenes Straßenkind das Paradies. Im Restaurantbereich saßen jede Menge Leute, die ihr Essen sinnlos verschwendeten. Lev brauchte sich nur auf die zu konzentrieren, die Jumbo-Portionen kauften, und zu warten, bis sie fertig waren. Die meisten ließen ihre Reste einfach auf dem Tisch stehen. Darauf hatte es Lev abgesehen, denn er war zwar hungrig genug, zu essen, was andere übrig ließen, aber immer noch zu stolz, den Müll zu durchwühlen. Als Lev gerade die Pizzareste einer Cheerleaderin aufaß, hörte er hinter sich eine Stimme.
    »Hey, musst doch nicht den Müll essen, Mann!«
    Lev erstarrte, weil er sicher war, dass ihn gleich ein Wachmann hinauswerfen würde, doch da stand nur dieser schlaksige umbrafarbene Kerl mit dem lustigen Grinsen. »Komm, ich zeig dir, wie’s geht.« Dann schlenderte er zu einem hübschen Mädchen, das im chinesischen Schnellimbiss arbeitete, plauderte ein paar Minuten mit ihr und kehrte dann mit leeren Händen zurück. Kein Essen, kein Trinken, gar nichts.
    »Ich glaube, ich halte mich besser an die Reste«, sagte Lev.
    »Geduld, Mann. Die macht bald zu, klar? Und nach dem Gesetz müssen die das ganze Essen, das sie heute gekocht haben, wegwerfen. Die dürfen nichts aufheben und morgen verkaufen. Also, was glaubst du, was die mit dem Essen machen? Ich sag’s dir, Mann. Die letzte Schicht nimmt’s mit. Aber die Leute, die da arbeiten, die essen das Zeug nicht mehr, denn das hängt denen zum Hals raus. Siehst du das Mädchen? Die mag mich. Ich hab ihr gesagt, dass ich unten im T-Shirt-Laden arbeite und ihr vielleicht mal was besorgen kann.«
    »Und, arbeitest du wirklich da?«
    »Quatsch! Hörst du mir überhaupt zu? Also, jedenfalls, kurz vor Ladenschluss geh ich rüber zum Chinesen, lächle die Kleine an und frage sie: ›Hey, was macht ihr nur mit den vielen Resten?‹ Und sie: ›Kannst du was damit anfangen?‹ Und fünf Minuten später bin ich im chinesischen Hühnchenhimmel und hab genug für eine ganze Armee.«
    Und tatsächlich: Genau so kam es. Lev war fasziniert.
    »Halt dich nur an mich«, sagte CyFi und reckte die Faust in die Luft. »Und Gott ist mein Zeuge, du wirst nie wieder hungern. Das ist aus Vom Winde verweht .«
    »Weiß ich doch«, sagte Lev. Was nicht stimmte.
    Lev hat sich CyFi angeschlossen, weil das für beide gut ist. CyFi ist ein Prediger ohne Gemeinde. Er kann nicht ohne Publikum. Lev wiederum braucht jemanden, der ihm den Kopf mit neuen Ideen füllt.
    Einen Tag später sind Levs Schuhe durchgelatscht, und er hat Muskelkater. Außerdem ist die Erinnerung an Risa und Connor wie eine Wunde, die nicht heilen will. Wahrscheinlich hat man sie gefasst. Wahrscheinlich sind sie schon umgewandelt. Und das alles nur wegen ihm. Bedeutet das, er hat Beihilfe zum Mord geleistet?
    Das kann nicht sein, Wandler sind gar nicht tot.
    Er weiß nicht mehr, welche Stimme in seinem Kopf ist. Die seines Vaters? Pastor Dans? Es macht ihn wütend. Lieber hört er auf CyFis Stimme außerhalb seines Kopfes als auf die, die drin sind.
    Die Landschaft hat sich, seit sie die Stadt verlassen haben, kaum verändert. Mannshohe Sträucher und vereinzelte Bäume säumen die Schienen. Manche Büsche sind

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