Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vollendet (German Edition)

Vollendet (German Edition)

Titel: Vollendet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Shusterman
Vom Netzwerk:
er. Wenn CyFi etwas nicht ausstehen kann, dann ist es Stille, also füllt er die Stille mit Gequassel.
    »Bist du vielleicht als Baby gestorcht worden? War’s das? Wollten sie dich eigentlich gar nicht haben? Konnten sie es nicht erwarten, dich wieder loszuwerden?«
    Lev kneift die Augen zusammen und regt sich nicht.
    »Also, ich bin gestorcht worden«, sagt Cy. »Am ersten Sommertag, da haben meine Dads mich auf der Türschwelle gefunden. Kein großes Ding – die wollten sowieso eine Familie gründen. Sie waren so froh, dass sie’s gleich offiziell gemacht und gegeheiratet haben.«
    Lev öffnet die Augen. Nun ist er doch neugierig geworden und gibt lieber zu, dass er wach ist. »Aber ist es seit dem Heartland-Krieg Männern nicht verboten zu heiraten?«
    »Sie haben ja auch nicht geheiratet, sondern gegeheiratet .«
    »Was ist denn da der Unterschied?«
    CyFi sieht ihn an, als wäre er ein Idiot. »Die Vorsilbe ge . Und falls dich’s interessiert: Ich bin nicht wie meine Dads – mein Kompass zeigt auf Mädels, wenn du kapierst, was ich meine.«
    »Ja, ja, meiner auch.« Er verschweigt CyFi, dass er nie näher an einer Verabredung oder gar einem Kuss mit einem Mädchen war als beim Tanz auf seinem Zehntopferfest.
    Beim Gedanken an die Party überkommt ihn plötzlich ein Gefühl der Beklemmung, er würde am liebsten schreien. Er kneift die Augen zusammen und unterdrückt den explosionsartigen Ausbruch.
    Bei allem aus Levs altem Leben ist es jetzt so: Alles ist eine tickende Zeitbombe in seinem Kopf. Vergiss dieses Leben , sagt er sich. Du bist nicht mehr der alte Lev .
    »Wie sind deine Eltern denn so?«, fragt CyFi.
    »Ich hasse sie«, sagt Lev und ist selbst überrascht. Überrascht, weil es die Wahrheit ist.
    »Das hab ich nicht gefragt.«
    Diesmal nimmt Cy das Schweigen nicht als Antwort hin. Lev muss es ihm erklären. »Meine Eltern tun alles, was von ihnen erwartet wird«, beginnt er. »Sie zahlen ihre Steuern. Sie gehen in die Kirche. Sie wählen die Partei, die ihre Freunde wählen, und sie glauben, was sie glauben sollen. Und uns schicken sie in Schulen, in denen uns beigebracht wird, genau wie sie zu denken.«
    »Klingt für mich nicht so schrecklich.«
    »War es auch nicht«, sagt Lev mit wachsendem Unbehagen. »Aber sie haben Gott mehr geliebt als mich, und dafür hasse ich sie. Deswegen komme ich wahrscheinlich in die Hölle.«
    »Hm. Wenn du da hinkommst, dann reservier mir einen Platz, ja?«
    »Warum? Wieso glaubst du, dass du in die Hölle kommst?«
    »Nur für den Fall der Fälle. Man weiß ja schließlich nie, oder?«
    Zwei Tage später kommen sie in die Stadt Scottsburg, Indiana. Zumindest weiß Lev nun endlich, in welchem Bundesstaat sie sind. Er fragt sich, ob das vielleicht CyFis Ziel ist, aber der verrät es immer noch nicht. Sie haben die Eisenbahnschienen verlassen, und CyFi erklärt Lev, dass sie auf Landstraßen nach Süden gehen müssen, bis sie Schienen finden, die in die richtige Richtung führen.
    Cy ist in letzter Zeit komisch.
    Es hat am Vorabend begonnen. Da war etwas in seiner Stimme. Und in seinen Augen. Zuerst dachte Lev, er bilde es sich nur ein, aber nun, im schwachen Licht des trüben Herbsttages, wird klar, dass CyFi nicht er selbst ist. Statt die Führung zu übernehmen, fällt er hinter Lev zurück. Seine Schritte sind nicht mehr so zielstrebig und gleichen mehr einem Schlurfen. Lev erfasst eine Unruhe, die er nicht mehr verspürt hat, seit er CyFi kennengelernt hat.
    »Erzählst du mir irgendwann, wo wir eigentlich hingehen?«, fragt er. Er überlegt, ob sie bald am Ziel sind und Cy sich deshalb so merkwürdig verhält.
    CyFi zögert. Er scheint darüber nachzudenken, ob er überhaupt antworten soll. Schließlich sagt er: »Wir gehen nach Joplin. Das ist im Südwesten von Missouri. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.«
    Lev registriert, dass CyFi seinen Umbra-Slang völlig abgelegt hat. Er klingt jetzt wie jemand, den Lev auch zu Hause hätte treffen können. Aber in seiner Stimme ist ein dunkler und kehliger Ton. Vage bedrohlich, wie ein Werwolf unmittelbar vor der Verwandlung.
    »Was ist in Joplin?«, fragt Lev.
    »Mach dir darüber mal keine Gedanken.«
    Doch Lev beginnt sich nun wirklich Gedanken zu machen, denn wenn CyFi am Ziel ist, wird Lev wieder alleine sein. Die Reise war einfacher, als er das Ziel noch nicht kannte.
    Unterwegs ist Cy mit dem Kopf woanders. Vielleicht in Joplin. Was da wohl ist? Vielleicht ist eine Freundin hingezogen? Vielleicht hat er

Weitere Kostenlose Bücher