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Vollendet (German Edition)

Vollendet (German Edition)

Titel: Vollendet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Shusterman
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grün, andere gelb und verfärben sich bräunlich. Zwischen den Schienen wächst Unkraut, allerdings nicht sehr hoch.
    »Unkraut, das so blöd ist, groß zu werden, hat hier keine Chance. Das wird vom nächsten Zug liquidiert. Liquidieren, das heißt töten.«
    »Ich weiß, was liquidieren bedeutet. Red nicht so blöd.«
    CyFi bleibt mitten auf den Schienen stehen und starrt Lev an, als wollte er ihn mit seinem Blick erdolchen.
    »Hast du was gegen meine Sprache, Mann? Hast du ein Problem mit der Umbrasprache der Alten Welt?«
    »Ja, wenn sie aufgesetzt ist.«
    »Was soll das denn heißen, Mann?«
    »Das ist doch klar. Ich wette, kein Mensch hat jemals so oft ›Mann‹ gesagt, außer vielleicht in den blöden Vorkriegs-Fernsehshows. Du machst das absichtlich.«
    »Absichtlich? Mein Umbra ist ein echter Klassiker, genau wie die Fernsehshows. Das schmeckt mir nicht, dass du was gegen mein Patois hast. Patois, das heißt …«
    »Ich weiß, was Patois heißt«, sagt Lev, obwohl er keine Ahnung hat. »Kannst du vielleicht mal den Rand halten, Mann?«
    CyFi hebt anklagend den Finger wie ein Anwalt vor Gericht. »Aha! Jetzt hast du’s auch gesagt!«
    »Das zählt nicht! Das kommt nur, weil ich von dir nichts anderes zu hören kriege! Irgendwann färbt das eben ab!«
    Bei diesen Worten grinst CyFi. »Ja«, sagt er. »Das ist wahr. Das Umbra der Alten Welt ist ansteckend. Es gibt den Ton an. Wer so redet, ist nicht dumm, dass du’s weißt! Ich hab in der Schule im Lesen und Schreiben die besten Noten, Mann. Aber ich hab eben Respekt vor meinen Vorfahren, für das, was die alles ertragen mussten, dass es mich gibt. Klar, ich kann auch reden wie du, will ich aber nicht. Das ist die Kunst, weißt du? Picasso musste der Welt erst mal beweisen, dass er richtig malen kann, ehe er beide Augen ans Ohr gepappt hat und die Nase auf die Kniescheibe und so was. Wenn einer falsch malt, weil er’s nicht kann, ist er ein Stümper. Aber wenn er es so will, ist er Künstler.« Er grinst Lev an. »Eine Gratisweisheit von CyFi, Fry. Die kannst du einbuddeln und wieder ausgraben, wenn du sie brauchst!«
    CyFi dreht sich um und spuckt einen Kaugummi aus, der auf der Schiene kleben bleibt, während er sich den nächsten in den Mund schiebt. »Meine Väter haben jedenfalls kein Problem damit – und die sind Lilien-Siena wie du.«
    »Die?« CyFi hat schon vorher von seinen »Vätern« gesprochen, aber Lev hat es seinem Umbra-Slang zugeschrieben.
    »Klar«, sagt CyFi schulterzuckend. »Ich hab zwei. Ist doch kein Drama, Mann.«
    Lev muss das erst verarbeiten. Natürlich hat er von männlichen Elternpaaren gehört – oder »Yin-Familien«, wie man sie auch nennt –, aber in seiner behüteten Welt war so etwas weit weg, in einem Paralleluniversum.
    CyFi fällt Levs Überraschung gar nicht auf. Er hat auf Angebermodus geschaltet.
    »Ich hatte einen IQ von 155. Hast du das gewusst, Mann? Natürlich nicht, wie auch?« Dann zögert er. »Ein paar Punkte bin ich aber runter, nach dem Unfall. Ich war mit dem Fahrrad unterwegs, und da hat mich so ein blöder Depp mit dem Mercedes umgenietet.« Er deutet auf eine Narbe an der Schläfe. »Totalschaden. Blut überall. Ich wär fast krepiert. Der rechte Schläfenlappen war Matsche.« Bei dem Gedanken daran schaudert er, zuckt dann aber mit den Schultern. »Aber so eine Hirnverletzung ist ja eigentlich kein Ding. Die tauschen einfach das Gewebe aus, und schon bist du fast wie neu. Meine Väter haben den Arzt sogar dafür bezahlt, dass ich einen ganzen Schläfenlappen von einem Wandler kriege – nicht persönlich gemeint –, statt lauter kleine Hirnfetzen, wie’s eigentlich üblich ist.«
    Lev weiß das. Seine Schwester Cara hatte Epilepsie. Deshalb wurde ein kleiner Teil ihres Gehirns durch hundert winzig kleine Stückchen Hirngewebe ersetzt. Lev hat nie darüber nachgedacht, wo sie eigentlich herkamen.
    »Kleine Teile sind okay, aber die funktionieren nicht so doll«, erklärt CyFi. »Das ist so, wie wenn man ein Loch in der Wand zuspachtelt. Egal, wie gut man’s macht, die Wand ist nie wieder wie vorher. Also haben meine Väter dafür gesorgt, dass ich den ganzen Schläfenlappen von einem Spender kriege. Bloß war der Kerl nicht so clever wie ich. Kein Idiot, aber auf 155 ist er nicht gekommen. Beim letzten Test bin ich bei 130 gelandet. Damit bin ich noch unter den Top fünf Prozent der Bevölkerung, ein echter Klugscheißer, aber zum Genie reicht’s halt nicht mehr. Wie hoch ist dein

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