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Vollendet (German Edition)

Vollendet (German Edition)

Titel: Vollendet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Shusterman
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Sie können mich so oft mit dem Stock schlagen, wie Sie wollen, ich halte Sie für anständig.«
    »Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wenn du mal so lange gelebt hast wie ich, wirst du eines gelernt haben: Menschen sind nicht einfach gut und sie sind nicht einfach böse. Wir wandern unser ganzes Leben zwischen der Dunkelheit und dem Licht hin und her. Derzeit freue ich mich, dass ich im Licht bin.«
    Als er die Treppe hinuntergeht, schlägt sie ihn so fest mit dem Stock auf den Hintern, dass es weh tut, aber er lacht nur.
    Er erzählt Risa nicht, was ihr bevorsteht. Irgendwie würde er ihr damit etwas wegnehmen. Wie bei ihm sollte es eine Sache zwischen ihr, Sonia, dem Stift und dem Blatt Papier sein.
    Sie lässt das Baby bei ihm, als sie nach oben zu der alten Frau geht. Es schläft, und jetzt, an diesem Ort und in diesem Augenblick hat es etwas sehr Tröstliches, es im Arm zu halten, und Connor ist dankbar, dass er es gerettet hat. Wenn seine Seele eine Gestalt hat, denkt er, dann diese: Ein Baby, das in seinen Armen schläft.

20. Risa
    Als Sonia das nächste Mal die Falltür öffnet, weiß Risa, dass wieder eine Veränderung bevorsteht. Sie müssen Sonias sicheren Keller verlassen.
    Risa geht als Erste, als Sonia von oben ruft. Eigentlich wollte Roland zuerst hoch, aber Connor versperrt ihm den Weg.
    Mit dem schlafenden Baby im rechten Arm, die linke Hand auf das rostige Geländer gelegt, erklimmt Risa die zerklüfteten Steinstufen. Sie hat gedacht, dass sie oben von Tageslicht erwartet wird, aber es ist Nacht. Im Laden ist es dunkel, nur ein paar Lichter sind sorgsam so aufgestellt, dass die Jugendlichen nicht über die herumliegenden Antiquitäten stolpern.
    Sonia geleitet sie zu einem Hinterausgang, der in eine Seitenstraße führt. Dort wartet ein kleiner Lieferwagen, auf dessen Seite eine Eiswaffel aufgemalt ist.
    Sonia hat nicht gelogen. Es ist der Eismann.
    Der Fahrer steht neben der offenen Hecktür des Lieferwagens, ein verwahrloster Typ, der eher aussieht, als würde er illegale Drogen ausliefern anstelle von Jugendlichen. Roland, Hayden und Mai gehen zu dem Lieferwagen. Risa und Connor werden von Sonia zurückgehalten.
    »Ihr beide noch nicht.«
    Da bemerkt Risa ein Stückchen abseits im Dunkeln eine Gestalt. Ihre Nackenhaare sträuben sich, aber dann tritt die Gestalt näher und Risa erkennt Hannah, die Lehrerin, die sie in der Schule gerettet hat.
    »Das Baby könnt ihr nicht mitnehmen, Liebes«, sagt Hannah.
    Reflexartig drückt Risa das Baby enger an sich. Sie weiß selbst nicht, warum. Eigentlich will sie es nur loswerden, seit sie es am Hals hat.
    »Das geht in Ordnung«, sagt Hannah. »Ich habe mich mit meinem Mann besprochen. Wir sagen einfach, dass wir gestorcht wurden. Alles ist gut.«
    Risa schaut Hannah in die Augen. Im dämmrigen Licht kann sie nicht viel erkennen, aber sie weiß, dass diese Frau meint, was sie sagt.
    Doch Connor tritt zwischen sie: »Möchten Sie das Baby wirklich haben?«
    »Sie ist bereit, es zu nehmen«, sagt Risa. »Das genügt.«
    »Aber will sie es?«
    »Hast du es gewollt?«
    Das scheint Connor nachdenklich zu machen. Er wollte das Baby nicht. Aber er war bereit gewesen, es zu nehmen, weil es sonst ein erbärmliches Leben in einer erbärmlichen Familie vor sich gehabt hätte. So wie Hannah jetzt bereit ist, es vor einer ungewissen Zukunft zu bewahren.
    »Es ist nicht ein ›Es‹, sondern eine ›Sie‹«, sagt er schließlich und geht zum Lieferwagen.
    »Sie wird es bei uns gut haben«, sagt Hannah. Sie tritt einen Schritt näher, und Risa übergibt ihr das Baby.
    Kaum hat es ihren Arm verlassen, empfindet Risa große Erleichterung, aber zugleich auch ein unbestimmtes Gefühl der Leere. Es ist nicht so heftig, dass sie in Tränen ausbricht, aber stark genug, um eine Art Phantomschmerz auszulösen – Schmerz, den jemand empfindet, der ein Körperteil verliert – natürlich nur, bis ihm ein neues transplantiert wird.
    »Pass auf dich auf«, sagt Sonia und umarmt Risa unbeholfen. »Die Reise ist lang, aber ich weiß, du kannst es schaffen.«
    »Wohin werden wir gebracht?«
    Sonia antwortet nicht.
    »He«, sagt der Fahrer. »Ich habe nicht die ganze Nacht Zeit.«
    Risa verabschiedet sich von Sonia, nickt Hannah zu und geht zu Connor, der am Heck des Lieferwagens auf sie wartet. Als Risa weggeht, fängt das Baby an zu weinen, aber sie dreht sich nicht um.
    Erstaunt stellt sie fest, dass noch ein Dutzend anderer Jugendlicher in dem Lieferwagen hockt. Sie alle

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