Vollendung - Thriller
Providence machte, damit ab, dass er warten musste, bis sich draußen die richtige Gelegenheit ergab, sie zu entführen.
Der Bildhauer lächelte, denn er wusste tief in seinem Innern, dass das Schicksal ihn und Dr. Hildy bald zusammenführen würde.
Schließlich hatte ihn das Schicksal noch nie enttäuscht.
45
» Ich dachte, wir waren uns einig, dass wir heute eine Pause machen«, sagte Cathy.
Sie stand in der Tür zum Schlafzimmer – nackt bis auf das Hemd von Markham, das sie eng um den Körper geschlungen trug. Die beiden waren an diesem Sonntag zusammen an der Küste entlanggefahren und schließlich in Newport gelandet, wo sie über den Klippenweg spazierten, ehe sie ein spätes Mittagessen in einem Restaurant mit Blick auf den Hafen einnahmen. Bei ihrer Rückkehr zu dem sicheren Haus war das Fax von Rachel Sullivan bereits eingetroffen: Der Bericht des Coroners, dazu eine Liste mit Namen aus der Untersuchung des Tods von Damon Manzera durch die Polizei von East Greenwich – beides am Abend zuvor von Sam Markham erbeten. Cathy hatte dem FB I -Agenten das Versprechen abgenommen, alles warten zu lassen; sie hatte ihn überzeugt, dass er bis zum nächsten Morgen ohnehin nichts mit den Informationen anfangen konnte. Und nach einem weiteren Abend mit Wein und Liebe konnte die ehedem schüchterne Kunstgeschichtsprofessorin nicht umhin, einen gewissen Stolz zu empfinden, weil ihre weiblichen Kniffe einmal mehr die Oberhand gewonnen hatten.
»Es ist 0.15 Uhr«, sagte Markham. »Nach Mitternacht. Theoretisch ist schon morgen – ich habe mein Versprechen also nicht gebrochen, oder?«
»Vermutlich nicht. Aber du hast mich aufgeweckt.«
Nur mit seiner Unterwäsche bekleidet lag der FB I -Agent auf dem Sofa im Gemeinschaftsbereich – der im Übrigen aus zwei Fernsehsesseln und einem T V -Gerät, zwei Schreibtischen mit Computern und Druckern, einem Kopierer und einem Fax bestand und aus einer ganzen Wand mit den zwölf Videomonitoren, die ständig Überwachungsbilder von der Außenseite des Gebäudes, von den Fluren im zweiten und dritten Stock sowie von der Tiefgarage zeigten.
Die Seiten von Sullivans Fax lagen verstreut auf dem Boden – Markham hatte sie zugunsten seines Exemplars von Die im Stein schlafen beiseitegelegt. Cathy setzte sich neben ihn.
»Was hat jetzt dein Interesse geweckt?«, fragte sie.
»Aus dem Fax habe ich nicht viel erfahren, deshalb habe ich angefangen, wieder über den David zu lesen.«
»Und?«
»Ich denke, was mir die ganze Zeit ins Auge springt, ist, wie groß die Statue ist – über fünf Meter, sagst du?«
»Ja. Man kann ihre Größe eigentlich gar nicht ermessen, bis man davorsteht.«
»Aber die Art, wie sie geformt ist – Kopf, Oberkörper und Hände leicht überproportional zur unteren Hälfte der Figur –, du schreibst in deinem Buch, Michelangelo habe das deiner Ansicht nach absichtlich getan.«
»Ja. Es gibt eine Reihe von Theorien darüber. Wie du sicherlich gelesen hast, war der gewaltige Block Carrara-Marmor, aus dem der David gehauen wurde, bereits von einigen anderen Künstlern bearbeitet worden – darunter ein Schüler Donatellis – und stand dann unbeachtet fast dreißig Jahre lang in einem Innenhof herum, ehe der sechsundzwanzigjährige Michelangelo 1501 den Auftrag bekam, das Projekt zu vollenden. Manche Wissenschaftler glauben, dass Michelangelo von einer bereits grob umrissenen Figur arbeiten musste. Ich bin jedoch überzeugt, dass der Marmor noch nicht annähernd so weit war, als Michelangelo mit ihm anfing. Und da die Gilde, die die Statue ursprünglich in Auftrag gegeben hatte, sie oben auf den Stützpfeiler einer Kathedrale stellen wollte – ein Plan, der später aufgegeben wurde –, wären die Proportionen des David , von unten betrachtet, korrekt gewesen.«
»Er brauchte etwas über drei Jahre dazu«, sagte Markham, während er las. »Und die Statue wurde schließlich vor dem Eingang des Palazzo Vecchio aufgestellt.«
»Ja. Als eine Darstellung des biblischen Davids, dessen Sieg über Goliath und die Philister den Triumph der Republik Florenz über ihre konkurrierenden Stadtstaaten symbolisierte, wurde Michelangelos David zunächst vor dem Palazzo Vecchio aufgestellt – einem festungsähnlichen Palast, der als der alte Sitz der bürgerlichen Regierung in Florenz diente. Schwer zu glauben, nicht wahr? Es ist heute schwer zu glauben, dass die Florentiner die später berühmteste Statue der Welt erst einmal fast vierhundert Jahre
Weitere Kostenlose Bücher