Vollendung - Thriller
und Stokes sagte, in diesem Moment sei er in Panik geraten. Er schoss ihr zweimal in den Kopf und floh in seinem zerbeulten 85er Corolla. Ein Mitarbeiter des Mystic Seaport bemerkte einige Tage später die Bissspuren am Unterarm des Shantysängers und verständigte die Polizei. Zunächst leugnete Elmer Stokes den Mord, der die verschlafene Kleinstadt Mystic in Connecticut in ihren Grundfesten erschütterte. Als die Polizei jedoch die Pistole im Kofferraum von Stokes’ Wagen sicherstellte, gestand der liebenswerte Sänger, der bei den Kindern in diesem Sommer so großen Erfolg gehabt hatte. Den Strafverfolgern gelang es schließlich, ihm neun Vergewaltigungen in vier Staaten über den Zeitraum von zehn Jahren nachzuweisen.
Michelle Markham war jedoch sein erster und einziger Mord gewesen.
Sam Markham selbst entdeckte die Leiche seiner Frau neben ihrem Wagen auf dem Parkplatz des Mystic Aquariums – er hatte sich auf die Suche nach ihr gemacht, als sie abends nicht nach Hause kam. Das Paar hätte in weniger als einer Woche den zweiten Hochzeitstag gefeiert, wofür Markham genügend Geld von seinem bescheidenen Lehrergehalt gespart hatte, um Michelle mit einem Wochenende in den White Mountains von New Hampshire zu überraschen. Die Zeit ihres Werbens war kurz gewesen – ein sechsmonatiger Wirbel aus Leidenschaft und Romantik, gefolgt von einem Durchbrennen und den glücklichsten zwei Jahren ihres Lebens. Und so konnte es nicht ausbleiben, dass Sam Markhams Leben in dem Moment, in dem er mit dem Kopf seiner Frau im Schoß in einer Blutlache saß, implodierte und zu einer abwärtsführenden Spirale des Schmerzes wurde.
Elmer Stokes wurde wegen Mordes und versuchter Vergewaltigung von Michelle Markham nach den Gesetzen Connecticuts zum Tod verurteilt. Es tröstete Sam Markham kaum, der mit trübem Blick im Gerichtssaal saß, während seine Eltern und die Familie Michelles vor Erleichterung über das Urteil des Richters weinten. Jahre später, als sich Markhams Trauer gelegt hatte, blickte er auf die Zeit nach dem Prozess gegen Elmer Stokes zurück und musste jedes Mal an einen beschissenen Film namens Das Schwarze Loch denken, den er als Junge gesehen hatte, und in dem die Hauptpersonen, geschützt durch ein spezielles Raumschiff, das den Gravitationskräften eines Schwarzen Lochs widerstand, in ein ebensolches gesaugt wurden und nach einer Reise durch Himmel und Hölle am anderen Ende des Lochs offenbar in einer anderen Dimension wieder herauskamen.
Genauso war es für Markham gewesen, denn das Schwarze Loch, das das Jahr nach der Ermordung seiner Frau darstellte, komprimierte die Zeit zu einer verwirrenden und nebelhaften Reise, auf der er sich wie ein bärtiges Raumschiff fühlte, das ziellos durch das Universum seines ehemaligen Kinderzimmers im Haus seiner Eltern trieb. Und auch wenn sich Markham, anders als die Personen im Film, nur an wenige Dinge aus dem Schwarzen Loch seines Trauerns erinnern konnte, tauchte er auf der anderen Seite mit der Entscheidung auf, sich für eine Laufbahn als Special Agent beim FBI zu bewerben.
Markhams Leben war in eine neue Dimension eingetreten.
Mit der neu gefundenen Zielstrebigkeit stieg der körperlich fitte und intellektuell stets überlegene Markham schnell zum Besten seines Ausbildungsjahrgangs an der FB I -Akademie in Quantico auf. Nach seinem Abschluss folgte er für einige Jahre dem üblichen Ablauf wechselnder Einsatzorte und -felder. In seiner Zeit als Special Agent in der Außenstelle Tampa brachte er im Alleingang Jackson Briggs zur Strecke, den Mann, den die Presse als »Würger von Sarasota« bezeichnete – einen gefährlichen Mörder und Serienvergewaltiger, der die Alterswohnsitze rund um Sarasota seit fast zwei Jahren terrorisiert hatte, und auf dessen Konto, als Markham ihn fasste, bereits sieben Opfer gingen. Markhams Bemühungen brachten ihm nicht nur eine ehrenhafte Erwähnung durch den FB I -Direktor persönlich ein, sondern sicherten ihm auch einen Posten als Supervisory Special Agent in der Einheit für Verhaltensanalyse am FB I -Institut in Quantico.
All das hatte Sam Markham jedoch allein bewältigt. Von manchen schlicht für einen Einzelgänger gehalten, von anderen vielleicht für reserviert und arrogant, gab es für den Special Agent nur seinen Job und sonst nichts. Anders als sein Umfeld kannte Markham seine Psyche jedoch genau – er wusste, dass es seine Arbeit war, die ihn seiner Frau näher brachte. Er wusste, dass er wie eine
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