Vollendung - Thriller
Filmfigur auf einer Mission war, ihren Tod zu rächen, indem er anderen das Leid ersparte, das er durchgemacht hatte. Und aus genau diesem Grund beobachtete Sam Markham sich selbst in seiner Rolle als Special Agent des FBI mit derselben Distanz und Indolenz, mit der er als Kind Das Schwarze Loch gesehen hatte. Denn alles war unterlegt von einem bohrenden Gefühl der Vergeblichkeit; von einem angeborenen Zynismus und dem Wissen darum, dass sich der Film am Ende einfach nicht gelohnt haben würde. Ja, letzten Endes lief alles darauf hinaus, dass Sam Markham so gut wie jeder andere wusste, er würde, egal wie viele Serienmörder er zur Strecke brachte, keinen Frieden finden, bis er nach dem Tod wieder mit seiner Frau vereint sein würde.
Und auch wenn seit dem Tod seiner Frau fast fünfzehn Jahre vergangen waren und er gelernt hatte, seine Trauer anzunehmen, kam es Sam Markham deshalb erstaunlich vor, dass das Puzzlebild seiner Frau, das er hier in dem Hotelzimmer in Providence vor sich sah, über eine Tischfläche der Schuldgefühle verstreut war. Denn heute Nacht mischten sich Teile eines anderen Puzzles zwischen seine Bilder von Michelle – eines, das Markham vollkommen überraschte.
Natürlich hatte es im Lauf der letzten Jahre andere Frauen gegeben, aber der FB I -Agent hatte nie zu viel Nähe zugelassen, hatte sich nie gestattet, die Erinnerung an Michelle in seinem Herzen zu verraten. Aber nun, bei dieser Kunstprofessorin, war sich Markham bewusst, dass etwas passiert war; dass sich etwas anderes als Trauer in den Tiefen seines Herzen regte, etwas, das er trotz aller Selbsterkenntnis nicht ganz verstand, doch in seiner Beobachterrolle als distanzierter Kinogänger nur zu gut kannte. Und so kam es, dass sich Sam Markham, als er auf das Bild von Cathy Hildebrant auf dem rückwärtigen Cover von Die im Stein schlafen blickte, zum ersten Mal seit langer Zeit nicht nur nach seiner Frau sehnte, sondern auch nach einer anderen Frau. Und deshalb hatte er die schuldbewussten Tränen wegen des Anrufs der Kunstprofessorin geschluckt – ein Detail, wie er fand, das nur zu dem Filmklischee beitrug, zu dem sein Leben geworden war.
Als er das Gespräch mit Cathy beendet hatte, waren Markhams Gedanken jedoch sofort zu seiner Arbeit zurückgekehrt. Die Unterhaltung – sosehr sie ihn beruhigte, sosehr er es sogar genossen hatte, mit der Kunstprofessorin zu sprechen – hatte ihm die Schlussfolgerung bestätigt, zu der er nach der Lektüre von Die im Stein schlafen gekommen war: dass der Mörder von Tommy Campbell und Michael Wenick eine Botschaft sandte, die Teil eines größeren Zwecks war – eines Zwecks, der die Öffentlichkeit mit einschloss. Doch statt sich wieder in Cathys Buch zu versenken, statt über den Beitrag von Dr. Hildebrants Theorien zur Klärung der Frage nachzudenken, welcher Zweck das sein mochte, konnte Markham, nachdem er sein Handy zugeklappt hatte, den Blick nicht vom Einband des Buchs nehmen – insbesondere nicht von der Nahaufnahme der durchdringenden aber vorzüglich gearbeiteten Augen des David. Tatsächlich war er zehn Minuten lang wie hypnotisiert von dem Gesicht von Michelangelos David – so sehr, dass er einen Moment brauchte, um sich zu erinnern, wo er war, als ihn das Telefon aus seiner Trance riss.
»Ja?«
»Haben Sie die Nachrichten gesehen?«
Es war Bill Burrell.
»Nicht in den letzten paar Stunden. Ich habe Dr. Hildebrants Buch gelesen.«
»Verdammte Presse«, knurrte Burrell. »Jetzt nennen sie den Hurensohn schon den ›Michelangelo-Mörder‹. Und schlimmer als die ganzen Fotos von dieser gottverdammten Statue, die durch die Medien geistern, ist, dass sich Hildebrants Verwicklung in den Fall herumgesprochen hat. Glauben Sie, einer von unseren Leuten könnte geplaudert haben?«
»Möglich. Aber es würde mich nicht überraschen, wenn der Mörder selbst die Presse informiert hätte.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Nun, es ist offensichtlich, dass er Aufmerksamkeit anstrebt, dass er eine Botschaft sendet und will, dass die Öffentlichkeit diese Botschaft mittels der Linse von Hildebrants Buch versteht – fast als beabsichtigte er, Die im Stein schlafen als eine Art Gebrauchsanweisung für seine Schöpfung einzusetzen. Er hat enorme Mühen auf sich genommen, um die Sache auszuführen, Bill – die Ermordung einer Berühmtheit wie Campbell geplant, den Bacchus bis ins kleinste Detail nachgebildet und seine Entdeckung riskiert, als er die Skulptur in Dodds Garten
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