Vollendung - Thriller
hatte gesagt, er sei einundzwanzig, aber seinen Bildern nach, ohne Hemd und alles, sah er wirklich aus, als wäre er um die sechzehn oder siebzehn, wahrscheinlich hispanischer Abstammung, schlank aber nicht zu schmächtig gebaut – perfekt proportioniert für das nächste Projekt des Bildhauers. Natürlich würde es der Bildhauer erst mit Bestimmtheit wissen, wenn er RounDaWay17 persönlich gesehen hatte. Nichtsdestoweniger war der Mann, der sich heute Chris nannte, mehr als zufrieden mit seiner Wahl.
Sicher, bei den weiblichen Exemplaren war es schwer zu sagen gewesen, und letzten Endes hatten weder Michael noch Angelo die Frauen je verstanden, hatten nie wirklich gewusst, was sie bekamen, obwohl sie die Frauen zuerst von Angesicht zu Angesicht getroffen hatten, weil sie sie nachts in den Straßen von South Providence aufgegabelt hatten. Damals war der Bildhauer jedoch bei Weitem noch nicht so geschickt gewesen wie heute, er hatte nicht gewusst, wie er seine I P -Adresse verschleiern konnte, während er bei Craigslist auf Einkaufstour für sein Material war, wie er es bei Gap für Klamotten tat. Ja, im Grunde war der Bildhauer damals kaum mehr als ein Amateur gewesen.
Jetzt allerdings – fast sechs Jahre nachdem er den Engel in Schwarz zum ersten Mal im Series X bemerkt hatte, fast sechs Jahre, nachdem er ihn verfolgt, beobachtet und aus seinem Schlaf befreit hatte – ja, fast sechs Jahre, nachdem der Gothic-Jünger namens Gabriel ihn und Dr. Hildy zusammengebracht hatte, hatte der Bildhauer mehr als genug Zeit zum Üben gehabt.
Und so sah der Mann, der sich Chris nannte, mit Freuden, wie RounDaWay17 an der Kennedy Plaza aus dem Bus stieg und in Richtung Hotel ging. Chris stützte den Ellbogen auf den Türrahmen und setzte wiederholt ein kleines Fernglas ans Auge – er machte sich keine Sorgen, weil heller Tag war und man ihn sehen könnte. Nein, die Fenster seines Camry waren getönt, und die Nummernschilder heute waren gefälscht – ohnehin fiel der Wagen schwerlich auf inmitten der zahllosen anderen, die sich in den geschäftigen Straßen der Innenstadt von Providence drängten. Und als RounDaWay17 mit seiner Reisetasche die Straße überquerte und direkt an dem blauen Camry vorbeiging, kamen Chris beinahe die Tränen. Der Bildhauer hatte seinen Jesus gut gewählt – er würde die perfekte Größe haben, um seine Maria zu ergänzen. Gut, seine Maria war noch nicht abgeschlossen, aber das war etwas, worum er sich am kommenden Wochenende kümmern würde, während das Material für den Jesus in der großen Edelstahlwanne im Kutschhaus hart wurde.
Die Pietà würde sehr viel schneller fertig sein als sein Bacchus – und hatte sehr viel weniger Planung erfordert, denn für die Pietà war nicht die Art von schwer zu beschaffendem Material nötig, das er für den Bacchus gebraucht hatte. Nein, jetzt, da die ganze Welt auf ihn aufmerksam geworden war, da sie alle angefangen hatten, aus ihrem Schlaf zu erwachen, wusste der Bildhauer, er konnte Material benutzen, das leicht verfügbar war – Schnäppchenmaterial , das seinen Zweck nichtsdestoweniger wunderbar erfüllte.
Abgesehen davon schloss der wichtigste Teil seiner Pietà Dr. Hildy ein. O ja, er würde ihr in irgendeiner Weise für all ihre Hilfe danken müssen. Er würde ihr zeigen müssen, wie wahrhaft dankbar er war, indem er ihr etwas schenkte, das weit über eine Inschrift auf dem Sockel der Statue hinausging – eine Idee, die ihm inzwischen irgendwie dämlich vorkam. Ja, der Bildhauer hasste das Internet, hasste das Fernsehen und die Medien, hatte aber von Anfang an begriffen, dass es zu seiner Arbeit gehören würde, täglich die Verkaufszahlen von Die im Stein schlafen und anderer Bücher über Michelangelo zu verfolgen und dem wachsenden Interesse der Öffentlichkeit an dem Künstler insgesamt auf der Spur zu bleiben – den Sondersendungen auf den Dokumentarkanälen, den Zeitschriftenartikeln, den Talkshows, den Suchmaschinen und so weiter. Und obwohl Dr. Hildy noch keine Interviews gegeben hatte, obwohl sie öffentlich noch nicht über ihr Buch gesprochen hatte, war der Bildhauer nichtsdestoweniger von dem lawinenartigen Erfolg seines Bacchus begeistert – ein Erfolg, von dem nur der Bildhauer und vielleicht das FBI wussten, dass er ihn zu einem großen Teil der guten alten Dr. Hildy zu verdanken hatte.
Ja, sagte der Bildhauer zu sich selbst, als er seinen Wagen anließ. Später wird Zeit sein, ihr zu danken. Dem wird das
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