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Vollendung - Thriller

Vollendung - Thriller

Titel: Vollendung - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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sie selbst in ihren Briefkasten gesteckt, genau wie früher, wenn er sich mit vor Angst und Aufregung hämmerndem Herzen in das List Art Centre geschlichen hatte, um seine Nachrichten abzuliefern. Aber jetzt war alles anders, und er wagte sich nicht zu nahe an sie heran. Der Bildhauer wusste, dass das FBI Dr. Hildy wahrscheinlich aufmerksam überwachen würde. Deshalb war er auch seit der Enthüllung seines Bacchus nur zweimal an ihrer Wohnung auf der Upper East Side vorbeigefahren – getarnt, in seinem dritten Auto, dem Porsche 911. An den Polks fuhr er immer nur mit seinem Toyota Camry vorbei – der war in diesem Viertel sehr viel weniger auffällig. Der Bildhauer sah an dem Metallbriefkasten neben Dr. Hildys Tür, dass sie immer noch ihre Post abholte, obwohl sie bei ihrer Freundin Janet wohnte – der älteren Frau, die aussah wie diese Tennisspielerin aus den Siebzigerjahren namens Billie Jean King.
    Tennisspieler. Der Bildhauer hasste Tennisspieler.
    Während Shadow sich an die Verfolgung seines wöchentlichen Schurken machte, beobachtete der Bildhauer seinen Vater aufmerksam. Und als er sah, dass seine Augen zu flattern begannen, zog er die Spritze aus seinem Unterarm und tupfte die Einstichstelle mit einem alkoholgetränkten Wattebausch ab. Er hatte ihm gerade so viel von dem Schlafmittel gegeben, dass der alte Herr bis morgen früh träumen würde. Denn der Bildhauer wusste tief in seinem Innern, dass sein Vater träumte – er musste träumen, so wie sein Gesicht zuckte und seine Augen sich bewegten, wenn der Bildhauer in dem großen Sessel am Fenster saß und ihn beobachtete, weil er selbst nicht schlafen konnte. Tatsächlich hatte sich der Bildhauer im Lauf der Jahre darauf konditioniert, sehr wenig zu schlafen – er brauchte Schlaf eigentlich nur, um das gerissene Muskelgewebe von seinem anstrengenden Training im Keller zu reparieren und neu aufzubauen. Und anders als sein Vater träumte der Bildhauer selbst nie, soweit er sich erinnern konnte.
    Der Bildhauer ersetzte den Kolostomiebeutel seines Vaters, wusch sich im oberen Badezimmer Gesicht und Hände und legte sich nackt auf sein großes Himmelbett. Er hatte sein Schlafzimmer schon vor vielen Jahren in dem barocken Stil umdekoriert, der ihm am besten gefiel, aber der Raum enthielt immer noch die Erinnerungen an seine Jugend, vor allem an seine Mutter, die manchmal – wenn sein Vater auf Geschäftsreise war und sie zu viel getrunken hatte – nackt zu ihm ins Bett kroch, um sich zu entschuldigen , ihn nach den Eisbädern aufzuwärmen, in die sie ihn oft mit dem Gesicht nach unten tauchte, wenn er böse gewesen war.
    Der Bildhauer griff nach der Fernbedienung und drückte auf den Einschaltknopf – der DV D -Player und das große, in den Schrank eingebaute Fernsehgerät sprangen gleichzeitig an. Es gab keinen Fernsehempfang hier – keinen Kabelanschluss im Haupthaus. Nein, der Bildhauer betrachtete den großen Bildschirm in dem Schrank in der Ecke nur als seinen »Erinnerungskasten«. Ja, er würde eine Weile mit den immer gleichen alten Bildern entspannen, sich vielleicht sogar ein Nickerchen gestatten, vor der großen Nacht, die vor ihm lag.
    Play.
    Das Sony-Logo verblasste und wurde dann durch den Ausflug zu den Niagarafällen ersetzt – dem ersten von elf dreiminütigen Super-8-Filmen, die der Bildhauer aneinandergereiht und auf DVD digitalisiert hatte. Der Ausflug zu den Niagarafällen war ohne Ton – aufgenommen 1977, als der Junge namens Christian erst zwei Jahre alt gewesen war. Da ist er in den Armen seiner Mutter und neben den altmodischen Münzfernrohren – die Nebel des Wasserfalls steigen im Hintergrund auf wie Geister. Die Mutter, eine freundlich aussehende Frau mit großen Lippen und einem gelben Halstuch, flüstert etwas in das Ohr des Jungen.
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    Der Junge ist jetzt in den Armen seines Vaters, der neben demselben Münzfernglas steht. Sein Vater lässt ihn auf und ab wippen. Anders als der Mann im Zimmer nebenan bewegt sich der Vater ohne Schwierigkeiten – er sieht jung, hübsch und kräftig aus in seinem eng anliegenden weißen Polohemd. Und seine Augen – so voller Leben, voller Liebe für seinen Sohn und die Frau außerhalb des Kamerabereichs. Er wirft ihr eine Kusshand zu. Tut es noch einmal. Spricht mit seinem Sohn …
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    Ein Schwenk über den Wasserfall.
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    Nahaufnahme der Mutter am Geländer. Sie blickt auf die Szene vor ihr und weiß nicht, dass ihr Mann filmt.

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