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Vollendung - Thriller

Vollendung - Thriller

Titel: Vollendung - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Sie sieht glücklich aus, aber gedankenverloren. Und der Bildhauer, der von seinem Bett aus zusieht, fragt sich, wie schon seit vielen Jahren, was sie in diesem Moment wohl gedacht hat – er weiß, sie kann zu dieser Zeit noch nicht an den Tennisprofi gedacht haben, den Mann, mit dem sie Jahre später eine Affäre haben sollte. Die Mutter bemerkt, dass sie gefilmt wird, lächelt und formt mit den Lippen ein schüchternes: » Lass das, Eddie!« in die Kamera. Aber ihr Mann filmt weiter. Der Wind zerrt an ihrem Haar, ihrem gelben Tuch, während sie versucht, natürlich auszusehen. Sie fängt an zu sprechen.
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    Die Mutter mit dem Jungen, sie schaut auf die Wasserfälle hinaus. Der Junge hat den Daumen im Mund und schmiegt sich eng an die Brust seiner Mutter. Er wirkt irgendwie ängstlich – er weint nicht, blickt nur in die Kamera, während seine Mutter zu ihm spricht.
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    Die Mutter, lächelnd, sie hält den schlafenden Jungen in den Armen und steigt auf der Beifahrerseite in den weißen Ford LTD .
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    Die Mutter, wieder mit dem schlafenden Jungen – dunkler, diesmal im Wageninnern, vom Fahrersitz aus gefilmt. Die Kamera zoomt auf den Jungen namens Christian – er hat den Daumen noch immer im Mund.
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    Der Vater fährt, lacht und spricht in die Kamera, während seine Frau ihn filmt.
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    Eine rasche Folge von Aufnahmen der Straße, der Landschaft, dann endet die erste Spule.
    Der Rest der Super-8-Filme – aufgenommen im Lauf der nächsten drei Jahre – folgt demselben glücklichen Muster: Lake George, der Themenpark Story Land in New Hampshire, ein Ausflug an den Strand in Bonnet Shores. Aber nur der letzte der elf Filme ist mit Ton, aufgenommen 1980, als der Junge namens Christian gerade fünf Jahre alt war.
    Tatsächlich ist es seine Geburtstagsfeier, draußen im Garten gefilmt, mit dem Wald als Hintergrund, an einem hellen, sonnigen Tag mit Eistorte und Spielen . Der Junge namens Christian öffnet Geschenke – einen Fußball, einen Lastwagen –, während andere Kinder und Erwachsene, deren Namen der Bildhauer längst vergessen hat, unter Ahs und Ohs zuschauen. Der Bildhauer kennt den gesamten Dialog auswendig. Er hat sich diesen Film viele, viele Male angesehen.
    » Was kriege ich geschenkt, Mary?«, fragt sein Vater von hinter der Kamera, worauf die Mutter lächelt und erwidert: » Wie wär’s mit einer geschwollenen Lippe?«
    Die Feiernden lachen.
    Es gibt ein paar kurze Aufnahmen, wie der Junge namens Christian den Fußball zusammen mit einem Mädchen über den Rasen kickt, dann kommt endlich die Szene, auf die sich der Bildhauer seit dreiunddreißig Minuten gefreut hat – die Szene, auf die er immer so geduldig wartet.
    Der Junge namens Christian sitzt allein draußen am Tisch – der offene Behälter mit dem blauen und grünen Knetteig ist kaum zu erkennen zwischen den Papierbechern und den mit Zuckerglasur bedeckten Tellern auf dem Plastiktischtuch. Der Junge arbeitet konzentriert an etwas – vollkommen ahnungslos, dass sein Vater ihn filmt.
    » Was machst du da, Christian?« , fragt sein Vater hinter der Kamera hervor.
    »Meinen Freund David«, sagt der Junge mechanisch, ohne aufzublicken.
    » Wer ist David?« , flüstert ein anderer Mann außerhalb des Kamerabereichs.
    »Sein imaginärer Freund«, flüstert der Vater zurück. » Er sagt, er wohnt hinten im Kutschhaus.«
    Der nicht identifizierte Mann außerhalb des Kamerabereichs murmelt etwas Unverständliches. Und während die Geräusche von Festgästen und fröhlichen Kindern im Hintergrund ertönen und die Kamera gerade auf den Jungen namens Christian und sein aus blaugrüner Knetmasse geformtes Männchen zu zoomen beginnt, wird der Privatfilm vom fünften Geburtstag des Bildhauers abrupt schwarz.
28
    C athy Hildebrant und Sam Markham saßen schweigend vor Cathys Wohnung auf der East Side – die Scheibenwischer klatschten im Takt zum dumpfen Tuckern des Wagenmotors. Seit Sams Rückkehr aus Quantico hatten sie viele Male wie Teenager im Wagen vor der Wohnung der Polks gesessen, und Cathy hatte sich angewöhnt, die Szene für sich ihr »linkisches Ende einer Verabredung« zu nennen.
    Anders als an dem Nachmittag zwei Wochen zuvor, als sie ihn auf die Wange geküsst hatte, konnte sie sich zu keinem so kühnen Manöver mehr aufraffen. Seit seiner Rückkehr aus Quantico wirkte Markham distanziert – viel professioneller und wesentlich weniger geneigt, persönliche

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