Vollendung - Thriller
Dinge preiszugeben. Selbst bei den vier, fünf Gelegenheiten, als sie allein in seinem winzigen Büro im Zentrum von Providence gewesen waren und bis spätabends an seinem Computer gearbeitet und die Ausdrucke aus Boston studiert hatten, hatte Special Agent Sam Markham immer dafür gesorgt, dass er abseits von ihr beschäftigt war, seiner neuen Partnerin körperlich nicht zu nahe kam. Und das eine Mal, als er sie versehentlich gestreift hatte – das einzige Mal, als sich ihre Blicke trafen und ihre Gesichter einander so nahe waren, dass sich Cathy sicher war, er würde sie küssen –, hatte Markham nur gelächelt und sich mit geröteten Wangen von ihr abgewandt.
Aber schlimmer als alles fand Cathy, dass Special Agent Sam Markham bei allen ihren Fahrten kreuz und quer durch Neuengland, um diese oder jene Person zu befragen, nie wieder ihre Hand genommen hatte.
Irgendetwas stimmte nicht. Irgendetwas hielt ihn zurück.
Tief im Innern verstand Cathy das – fühlte es auf eine Weise wie nie etwas zuvor –, doch ihre bewusste, rationale Seite wurde einfach nicht schlau daraus, wusste nicht, was sie mit diesem Wissen, diesem neu gewonnenen Einblick in das Herz eines Mannes anfangen sollte – eines Mannes, der ihr so nahe und gleichzeitig so fern zu sein schien.
»Sie kommen jetzt zurecht, allein bei sich zu Hause?«, fragte Markham schließlich.
»Ja. Janet und Dan brechen morgen zu ihrem Strandhaus auf. Sie wollten natürlich, dass ich mitkomme, und ich werde sie diesen Sommer auch besuchen, aber ich muss mich von ihnen abnabeln und wieder allein klarkommen. Ich werde sie anrufen, wenn ich im Haus bin und ihnen sagen, dass ich heute Nacht hierbleibe. Schließlich wohne ich jetzt hier.«
»Sie brauchen vor nichts Angst zu haben, Cathy. Wir lassen Sie immer noch rund um die Uhr bewachen, ich werde Bescheid geben, dass Sie hierbleiben. Und Sie können mich immer anrufen, das wissen Sie.«
»Ja, ich weiß.«
Das verlegene Schweigen wieder.
»Was ist los, Sam?« Die Frage war Cathy einfach so herausgerutscht, und Markham sah bestürzt aus.
»Was meinen Sie?«
»Es ist nur, na ja, ich dachte …« Als sie seinem Blick begegnete, sah sie, wie sich seine fraglos vorhandenen Gefühle für sie einmal mehr zurückzogen, und sie kam sich plötzlich dumm vor – ihr war nach Weinen zumute, sie musste raus hier.
»Tut mir leid«, sagte sie und raffte ihre Sachen zusammen. »Ich bin nur ein bisschen doof. Rufen Sie einfach an, wenn Sie mich wieder brauchen.«
»Cathy«, sagte Markham. »Cathy, warten Sie …«
Aber sie hatte die Tür bereits zugeschlagen, und ihre Absätze klackerten auf dem Weg zur Eingangstür geräuschvoll über den Gehweg. Markham saß hilflos, wie erstarrt hinter dem Lenkrad. Doch dann stürzte er spontan aus dem Wagen, eilte ihr nach und fing sie ab, als sie gerade die Wohnung betrat. Das Bündel mit der Post fiel auf den Boden, und als Cathy sich umdrehte, als Markham die Tränen in ihren Augen sah, gab er seinem Herzen endlich nach und küsste sie.
Inmitten eines Meers aus Pappkartons liebten sie sich bis in den Abend hinein und merkten die ganze Zeit nichts vom Läuten des auf stumm geschalteten Handys in Cathys Handtasche.
29
H ätte Steve Rogers gewusst, dass die beiden Detectives der Polizei von Cranston seine Exfrau in deren Wohnung auf der Upper East Side um wenige Minuten verpasst hatten, hätte er gewusst, dass Janet Polk ihnen unabsichtlich die falsche Information gegeben hatte, ihre beste Freundin würde bei ihr übernachten, der eitle und ichbezogene Schauspielprofessor hätte wohl sicher vermutet, dass das Schicksal ihm einmal mehr eine Niederlage bereitet hatte. Sein einziger Trost wäre vielleicht die hübsche Rothaarige gewesen, die sich – und sei es auch ihrerseits aus selbstsüchtigen Motiven – versehentlich seiner Sache angenommen hatte. Meghan O’Neill, Chefin des frisch ernannten, dreiköpfigen Investigativteams von WNRI , dessen einziger Zweck darin bestand, Spuren nachzugehen und Storys zu entwickeln, die mit dem Michelangelo-Mörder zusammenhingen, feierte an diesem Abend einen unerwarteten Durchbruch. Ihr Team hörte nun schon seit Wochen geduldig den Polizeifunk ab, in der Hoffnung, eins von zwei Worten zu hören: Michelangelo und Hildebrant. Und als deshalb die Nachricht über den Äther kam, die Polizei von Cranston habe Schwierigkeiten, Letztere ausfindig zu machen, um sie wegen des Verschwindens ihres Exmanns zu befragen, scheuchte O’Neill ihre
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