Vollidiot
Stunden später sitze ich mit einem hessischen Wertpapierberater an einem kleinen Tisch neben der Tanzfläche. Weil wir auf den Kanaren sind, befindet sich sowohl die Tanzfläche als auch der Tisch im Außenbereich neben dem Pool. Das Teelicht, das auf dem Tisch flackert, ist das Gleiche wie bei mir zu Hause. Irgendwo auf den Kanaren muss es einen Ikea geben. Vorsicht! Zu spät. Da ist es wieder, mein 30 C.
»Tanzt wie 'ne Nutte!«, zischt mein Hesse mit rotem Kopf und bohrt seinen albernen Cocktailschirm durch ein Stück Ananas. Weil auf der Tanzfläche keiner blutüberströmt zusammenklappt, handelt es sich hierbei offenbar nicht um Voodoo. Dennoch: Auch mit rudimentärsten Kenntnissen der menschlichen Psyche lässt sich leicht abschätzen, dass nicht mehr viel fehlt, um meinen bisher so sympathischen Banker in einen kaltblütigen Amokläufer zu verwandeln, der gleich mit einer Maschinenpistole den gesamten Außenbereich der Clubdisco in Schutt und Asche legt. Robinson – Zeit für Gefühle! Wegen der Musik würde ich's noch verstehen. Es läuft Joe Cocker. Joe Cocker ist aber nicht sein Problem. Sein Problem ist die Frau, mit der er seinen Urlaub verbringt.
Ich biete meinem eifersüchtigen Banker eine Zigarette an, um ihn abzulenken.
»Jetzt schau doch mal hin, Simon, wie 'ne Nutte!«
»Hier ... Feuer!«
Statt seine Kippe anzuzünden, schleudert er sie auf die Tanzfläche. Ich finde, dass Kippen auf die Tanzfläche schleudern nicht zu Leuten mit rahmenlosen Designerbrillen und BOSS-Sakkos passt. Außerdem habe ich Angst, dass sein Kopf gleich platzt.
»Jetzt gräbt sie auch noch dieser Ossi an!«
»Das ist mein Tennislehrer!«, informiere ich ihn. »Mir doch wurscht. Ossi is' Ossi!«
Armer Wessi, würde ich eher sagen. Fliegt fast dreitausend Kilometer, um allen zu zeigen, was er für ein toller Hecht ist mit seinem brasilianischen Superschuss, und dann steht er jeden Abend da wie Karl Arsch, nur weil Fräulein Zuckerhut mit jedem Mann flirtet, dessen Kreditkarte noch länger als vier Wochen gültig ist. Hoppla. Da kommt sie auch schon angeschlichen.
»Gregor. Gib mir die Karte!«
Das war, glaube ich, Portugiesisch und heißt so viel wie »Ich liebe dich!«.
Ich kann nicht glauben, dass ein erfolgreicher Investment-Banker seiner Freundin wortlos seine Clubkreditkarte gibt, statt mal eben mit ihr Schluss zu machen und so auf einen Schlag hunderttausend Euro zu sparen.
»Nicht, dass wieder nix drauf ist!«, droht sie ihm und trippelt zurück an die Bar wie Peg Bundy aus Eine schrecklich nette Familie.
Eines muss man sagen: Dieser brasilianische Akzent ist schon geil. Und Figurprobleme sehen auch anders aus. So ist Fräulein Zuckerhut beispielsweise stolze Besitzerin eines 100%igen Salsa-Hinterns. Salsa-Hintern sind die Hölle! Nicht ohne Grund foltert man uns mit derart unverschämten sexuellen Stimuli in jeder verdammten Fern-sehreportage über Südamerika. Bei so einem Salsa-Hintern kann man einfach unmöglich wegzappen! Egal, über was berichtet wird, irgendwelche untervögelten Cutter schneiden immer einen Salsa-Hintern in den Bericht. Südamerika in der Schuldenfalle? Und Schnitt auf Salsa-Hintern! Klebstoff schnüffelnde Straßenkinder in Salvador da Bahia? Schnitt auf Salsa-Hintern! Tankerunglück vor Buenos Aires? Dann muss man doch mal so einen Salsa-Hintern ...
Nur MTV hat die Chuzpe, die Salsa-Hintern grundlos zu zeigen. Diese makellosen, shakiresken Hintern von in Slomo zuckenden Schlafzimmerblick-Stringtanga-Schlampen, die sich Vollmongos wie Jay-Z und Snoop Doggy Dog auf ihre eingeölten BMW-Motorhauben setzen. Oder waren's die Hintern, die eingeölt wurden? Egal ... irgendwie komme ich jedenfalls in die richtige Stimmung. Aber statt eine Frau anzubaggern, sitze ich hier neben einem hyper-ventilierenden Fondsmanager. Ich nehme einen Schluck Beck's aus der Flasche. Vielen Dank noch mal, Phil, für den tollen Tipp mit dem Single-Club, der auch nur deswegen so heißt, weil man garantiert als Single wieder nach Hause fährt. Ich hab das ganze Angebergekläffe noch im Ohr: »Mensch, Simon, da machste jeden Abend 'ne andere klar, ich sag nur, vögeln, bis der Arzt kommt!« Ein Arzt ist tatsächlich mal gekommen – um den Kreislaufkollaps eines 70-Jährigen zu behandeln, der sich im Aquarellkurs mit seinem Pinsel überhoben hat. Das Beste war, dass ich vorgestern per SMS erfahren habe, dass Phil selbst noch gar nicht hier war. Er hat lediglich gehört, dass der Club was für Singles wäre. Was
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