Vollidiot
für ein Knallkopf! Scheiß drauf, es ist der letzte Abend, also hab ich nix mehr zu verlieren. Ich bin braun, mir wurde eben das Leben gerettet, und ich fühl mich ansatzweise sexy.
»Hey, Simon! Geile Aktion auf'm Meer heute! Hab gehört, Aneta musste dich reinschleppen, weil du sonst abgesoffen wärst!«
Das war Kommentar Nummer 16, präsentiert von einem badischen Spinninginstructor, der mit drei Bieren an mir vorbeizischt.
»Freut mich, dass es dir gefallen hat!«
Mein hessischer Banker hat sich noch nicht wirklich beruhigt, wie mir ein Seitenblick verrät. Nicht gerade ein toller Typ, muss man sagen. Aber so ist es ja immer: Neureiche, langweilige Milchbrötchenfresse vögelt brasilianischen Salsa-Hintern. Und warum? Drei Buchstaben. SLK! Das Auto, nicht die Lotterie. Von den Kisten hat er angeblich drei. Kann aber auch sein, dass er mir davon nur dreimal erzählt hat.
»Wie 'ne Nutte, Simon! Tanzt wie 'ne Nutte!«
»Brasilianerinnen tanzen halt besser als Hessinnen!«, tröste ich ihn, als er mal wieder kurz vorm Aufspringen und Schlussmachen ist.
»Dafür kosten sie das Zehnfache!«
»Warum tanzt sie eigentlich nicht mit dir?«, will ich wissen.
»Weil ich nicht tanzen kann. Ich bin zu steif.«
»Wer sagt das?«
»Sie.«
»Ach ...«
»Wo steckt eigentlich DEIN Traumbabe?«, grinst er mich an. Ich sage ihm, dass er seine Klappe halten soll, und deute auf den Tennisossi, der gerade sein Bein zwischen den Salsa-Hintern geschoben hat, obwohl das der Song »Lady in Red« von Chris de Burgh gar nicht unbedingt erfordert hätte.
»Och ... der Ossi tanzt aber ganz gut!«, sage ich. Das war's!
»Also jetzt reicht's!«
Noch ehe ich mein hessisches Milchbrötchen zurückhalten kann, springt es auf, wühlt sich durch bunt behemdete Rentner und schüttet seinem Widersacher seine Bacardi-Cola ins Gesicht. Wie entwürdigend! Männer schütten sich keine Longdrinks ins Gesicht. Sie tun das nicht aus dem gleichen Grund, aus dem sie sich nicht zwicken oder kratzen oder Joghurette kaufen. Sie tun es nicht, weil sie Männer sind! Weil Männer sich Mars-Riegel kaufen und sich in die Fresse hauen!
»Du blödes Arschloch!«, keift der Salsa-Hintern und scheuert dem Weichei eine. Und dann muss ich, zusammen mit etwa einhundert weiteren Clubgästen, mit ansehen, wie Fräulein Zuckerhut ihren zappelnden Banker mitsamt Designerbrille am Ohr von der Tanzfläche wegzieht wie einen Hund vom Essenstisch. Das muss man sich mal reintun! Am Ohr! Ich schäme mich für ihn. Und jetzt? Was ist denn jetzt mit mir? Jetzt sitze ich alleine an meinem kleinen kanarischen Kerzenlichttisch. Ein großohriger SAP-Programmierer, den ich gestern beim Tischtennis geschlagen habe, nähert sich mit einem breiten Lächeln. Lieber Gott, mach, dass er sich nicht zu mir setzt!
»Da haben sie dir aber deinen Arsch gerettet heute auf See, oder?«
»Ich tu, was ich kann!«
Er zieht weiter, und ich zünde mir mit meinem letzten Streichholz eine Prince Denmark an. Sekunden darauf geht mit einem bemerkenswerten Sinn für unangebrachte Symbolik die Kerze auf meinem Katzentisch aus. Tja ... das ist dann wohl der Preis meiner elitären Sozialplanung: Einsamkeit. Nur ich und mein kleiner, kerzenloser kanarischer Katzentisch.
Weil es noch relativ früh ist und sich die Clubdisco erst so gegen Mitternacht füllt, hol ich mir noch eine Flasche Beck's an der Bar. Ich beschließe, eine Weile dort abzuhängen und meinen Blick schweifen zu lassen. Und alle sind sie wieder da, wie jeden langweiligen Abend:
Tante »Käthe«, der so ein bisschen aussieht wie Rudi Völler und seit drei Jahrzehnten jeden Februar hier in »seinem Club« Urlaub macht. Eine einzige falsche Frage, »wie das hier früher so war«, und man kann sich den Abend an die Clubmütze stecken. Ein paar Meter weiter stehen die Idioten vom Singletisch. Eine ausgezeichnete Idee der Clubleitung, genau diesen Tisch im Restaurantbereich mit einem großen, von weitem sichtbaren Schild mit der Aufschrift SINGLE-TISCH zu kennzeichnen. Der Single-Tisch, das ist der Tisch, an dem schon dann ein Hauch von guter Laune aufkommt, wenn mal eine Stunde lang keiner geheult hat. Ich saß einen einzigen Abend dabei, und es ist nur der Tatsache zu verdanken, dass der Club keinen Schnupperkurs »Pulsadern aufschneiden« anbietet, dass ich mich nicht vor lauter Melancholie mit einer Großpackung Gilette in die Badewanne gesetzt habe. Die Single-Gespräche laufen da immer nach dem gleichen Muster ab.
>Na, wie lange
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