Vollidiot
ist, wenn ein Kunde mal was länger braucht und ich durch die Frontscheibe nach draußen schaue?<
>Sie meinen, Sie blicken ins Leere?<
>Genau, Sir, ins Leere, Sir. An was denke ich da, Sir?<
>Lächeln Sie, verdammt noch mal, und stellen Sie sich einen leckeren Tall Latte Macchiato vor!<
>Danke, Sir, sehr gute Idee, Sir. Und danke noch mal, dass Sie mich so gut bezahlen, Sir.<
>Gute Mitarbeiter sind uns eben drei Euro die Stunde wert. Sie haben übrigens sehr feste Brüste, hat Ihnen das schon mal jemand gesagt?<
>Nein, Sir, aber vielen Dank, Sir!<
Über ebendiese perfekten Brüste spannt sich die engste Bluse der Welt. Natürlich starre ich nicht wirklich auf diesen Punkt, sondern auf das grüne Namensschildchen, das sie in diese enorm erotische Gegend gesteckt hat. Marcia P Garcia. Ein schöner Name! Ich frage mich, für was das P steht. Die Öko-Trulla vor mir hat inzwischen erfolgreich bestellt und schleicht zum Ausgabecounter, wobei sie auf ihren Kassenbon starrt, als handele es sich um ihre eigene Todesanzeige.
Marcia P. Garcia. Ich schaue vom Schild hoch und blicke direkt in ihre grünen Augen. Ich will wieder weggucken, doch ich kann nicht. Wie wahnsinnig gern würde ich in diesem göttlichen Blick baden, aber ich hab ja gar kein Handtuch dabei. Sie lächelt. Mein Gott, dieser Mund! Ein sieben Tonnen schwerer Granitblock mit der Aufschrift LIEBE donnert mir direkt in den Magen. Der Schmerz geht über in einen Strom wohliger Wärme, die mich sanft betäubt und zugleich nervös macht. Könnte diese Sekunde der wichtigste Augenblick in meinem Leben sein? Ein Augenblick, nach dem mich Eltern, Freunde und Kollegen auf unserer Hochzeitsfeier immer wieder fragen werden? Ein Augenblick, den Marcia und ich uns nach Jahren noch einmal giggelnd im Bett vergegenwärtigen, um uns dann zunächst ganz verliebt zu umarmen und anschließend wild übereinander herzu-fallen? Was frage ich denn? Ich weiß es doch. Es ist so ein Augen-blick!
»Sind Sie zum ersten Mal bei Starbucks? Kann ich was erklären?«
Ich mag den Klang ihrer Stimme. Ich stelle mir vor, wie diese Stimme immer wieder meinen Namen flüstert, ganz nah an meinem Ohr, sodass ich den warmen Atem spüren kann. Ich stelle mir vor, wie diese wunderbare Stimme andere Dinge sagt als >Sind Sie zum ersten Mal bei Starbucks?<. Dinge wie: »Meinst du, dieses Haus ist groß genug für uns und die Kinder?« oder: »Das Gewitter macht mir Angst, Simon, umarmst du mich ganz fest?«.
Wie gerne würde ich in dieser Sekunde einfach diese ganzen unnützen und anstrengenden Phasen des Ausgehens, Abtastens und Kennen-lernens umschiffen. Wie gerne würde ich diese unerhört herrliche Person einfach nur an ihrer zarten Hand mit zu mir in die Wohnung nehmen, sie auf meine Couch setzen und so lange angucken, bis wir beide Wange an Wange einschlafen. Quatschen könnten wir auch am nächsten Tag. Immerhin werde ich ein Leben lang mit ihr zusammen sein.
»Hallo?«
Meine zukünftige Ehefrau blickt mich noch immer lächelnd an, auch, wenn ich durch meine Sprachlosigkeit soeben einige zarte Flöckchen Sorge über ihr Püppchengesicht gestreut habe. Ich kann nur ahnen, wie ich in dieser Sekunde auf sie wirke, aber ich denke, ein Reh im Fernlicht eines Gurkenlasters kommt der Sache am nächsten.
»Hallo! Ich bin bei Starbucks!«, stammle ich und könnte mir sofort eine scheuern dafür. Natürlich bin ich bei Starbucks. Ich stehe am Bestelltresen und sollte nun einfach nur sagen, was ich bestellen möchte. Wenn der erste Eindruck der wichtigste ist und ebendieser erste Eindruck in den ersten zehn Sekunden entsteht, dann kann ich mich auch gleich in eintausend Starbucks-Servietten einrollen und in den Rhein werfen lassen. Sag was, Simon. Irgendwas mit Kaffee!
»Haben Sie Kaffee?«, höre ich mich dumpf fragen, als stünde ich irgendwo im Nebenzimmer. Natürlich haben die Kaffee. Ich bin in einem Café. Ich bin ein Vollidiot in einem Café.
»Auf der Tafel oben stehen alle Kaffeesorten, die wir haben. Soll ich vielleicht erst mal den Herrn hinter Ihnen bedienen, bis Sie sich entschieden haben?«
Sie? Bin ich vierzig, oder was? Ich drehe mich kurz um und blicke in zwei glasige Schweinchenaugen. Ein kleiner, pausbäckiger Geschäfts-mann mit Glatze und rahmenloser Stoiberbrille. Ich mag ihn nicht.
»Nein, erst mich bedienen!«, fordere ich barsch.
»Dann müssen Sie mir sagen, was Sie wollen!«, entgegnet meine Traumfrau immer noch lächelnd. Da hat sie Recht. Frage an die Regie:
Weitere Kostenlose Bücher