Vollidiot
Ecke und gelange in einen großen Bereich mit vielen Saunen und einem länglichen Pool in der Mitte. Ich lasse meinen Blick schweifen, doch von Paula ist nichts zu sehen. Woran sollte ich sie auch erkennen, ich hab sie noch nie nackt gesehen. Ein Latino-Stecher mit krausem Brusthaar und trainiertem Oberkörper steigt in den Saunapool. Zwischen den Beinen baumelt ein Witz von gerade mal fünf Zentimetern. Ich bin mir aber sicher, dass er selbst noch nicht darüber gelacht hat.
Ich schreite die verschiedenen Saunaräume ab und gucke mal hier, mal dort hinein, doch von Paula ist immer noch nichts zu sehen. Mir fällt ein, dass Paula mich ja im Ruheraum treffen wollte, und ich frage einen Angestellten in einem blauen Polohemd, wo der denn sei. Zusammen passieren wir ein Schild mit der Aufschrift »Bitte Ruhe. Es ist alles gesagt« und betreten einen warmen, nach Räucherstäbchen duftenden Raum, in dem es tatsächlich sehr ruhig ist. Auf edlen Holzliegen schlummern in Bademäntel eingepackte Saunagäste, andere lesen. Am Kopfende des Raumes entdecke ich Paula in einem rosafarbenen Bademantel. Freudig erregt gehe ich zu ihr und lasse mich auf die freie Liege neben ihr fallen.
»Paula, altes Haus!«, freue ich mich.
»Psssssssssstttt! «, zischen mich mindestens zehn andere Saunagäste an.
Eine sensationelle Idee, mich hier mit Paula zu treffen. Ich brauche dringend weiblichen Rat und treffe mich am einzigen Ort der Welt, an dem man nicht reden kann.
Was ist denn, wenn sich hier im Ruheraum zwei alte Kriegsveteranen zum ersten Mal seit mehr als fünfzig Jahren begegnen? Von denen beide geglaubt haben, dass der andere in russischer Kriegsgefangenschaft gestorben ist?
Heinz, ich hab gedacht, du bist tot!
Psssssstttt!
Neiiin, ich bin doch geflohen siebenundvierzig!
Psssstttt!!!
Man sollte diese bescheuerten Ruheräume wegbomben. Ganz leise natürlich.
»Hi Simon!«, flüstert Paula, zwinkert mir zu und legt die Allegra zur Seite.
»Liegst du schon lange hier?«, flüstere ich zurück.
»So 'ne halbe Stunde. Kommst du mit in die Sauna?«
Ich komme überallhin mit, wo wir reden können. Ich nicke ihr zu, und keine drei Minuten später sitzen wir in einer finnischen 90-Grad-Sauna und reiben uns mit grobem Salz ein, als wären wir handgeschwungene Laugenbrezeln. Zu meiner großen Freude sind wir allein in diesem Raum, durch dessen Fenster man auf den großen In-nenbereich mit dem Pool blicken kann. Ich komme nicht umhin zu gucken, wie Paula nackt so aussieht, und bin positiv überrascht. Vielleicht hätte ich ja doch mal was mit ihr anfangen sollen. Die Hitze ist fast unerträglich. Unglaublich, was die zwei Teelichter am Fenstersims für Temperaturen erzeugen. Ich rechne es Paula hoch an, dass sie gleich zur Sache kommt.
»Also, du bist verknallt, schieß los!«
»Ich bin nicht verknallt, ich hab die Frau gefunden, die ich heiraten werde!«
»Nicht schlecht!«
Während ich mir die ersten Schweißtropfen von meinem Laugenbrezel-Oberschenkel streiche, beginne ich zu erzählen. Paula will wissen, was das für ein Mädchen sei, diese Marcia, und wie gut ich sie schon kennen würde, wenn ich ja so verknallt sei. Ich sage, dass es sich um Liebe auf den ersten Blick handelt und dass ich sie noch gar nicht kenne. Und natürlich sage ich ihr, wie unsere erste Begegnung im Starbucks verlaufen ist und dass ich mich da wahr-scheinlich schon zum Horst gemacht habe.
»Wer weiß, vielleicht fand sie das ja sogar ganz süß!«, ermutigt mich Paula.
Könnte sein.
»Du musst sie auf jeden Fall erst mal kennen lernen!«, fährt sie fort.
»Auf keinen Fall! Ich bin noch nicht so weit!«, antworte ich, wie aus der Pistole geschossen.
»Wie? Noch nicht so weit?«
»Ich ... na ja ... ich hab Angst, es zu versauen! Und ... ich bin halt nicht bereit!«
»Das ist doch Quatsch. Triff dich halt erst mal mit ihr, bleib locker, du musst sie ja nicht gleich heiraten!«
Wenn Paula wüsste, dass das genau das Problem ist. Man sollte sich nicht aufregen bei 90 Grad. Aber ich muss. Man ist immer aufgeregt, wenn man nach einem Jahrzehnt im Vollsuff urplötzlich über die wichtigsten Dinge im Leben nachdenkt.
»Was hast du denn bisher gemacht mit deinen Dates?«, will Paula wissen.
»Nix hab ich gemacht. Hat sich alles so ergeben. Ich wollte ja sowieso nur vögeln und keine Beziehung.«
»Und? Haste gevögelt?«
»Natürlich! Und wie!«
»Simon! «
»Ab und zu schon ... nicht so oft eigentlich! Sagen wir, so einmal in diesem Jahr«,
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