Vollidiot
ich nach zwei weiteren Pints bei Sinatras My way von der Bühne gepfiffen werde, schnappe ich meine Jacke und meinen Saunabeutel, lege dem irischen Knubbel hinter dem Tresen meinen Fünfzig-Euro-Schein hin und gehe nach Hause. Ich finde, dass ich gut gesungen habe.
DER SHRIMPSDÖNER
Ich bin mir ganz sicher, dass es sich um eine Verschwörung handelt. Oder welchen Grund sollte es sonst geben, dass Müllabfuhr und Post immer dann bei mir klingeln, wenn ich nach ein paar Pints im Irish Pub am Morgen mit entsetzlichen Kopfschmerzen im Bett liege und ganz dringend meine Ruhe brauche? Und das, wo ich mich seit Jahren an die wichtigste Regel zur Abwehr der Müllabfuhr-Klingel-Terroristen halte, die da wäre, kein einziges Mal die Tür zu öffnen. Wenn man nämlich nur ein einziges Mal auf das Klingeln eingeht, dann ist man dran, bis ans Ende seiner Tage. Müllabfuhr und Post merken sich so was, schließlich geht es bei denen um jede Sekunde!
Als ich das Kabel für die Sprechanlage herausziehe, überlege ich mir, wie es wäre, wenn ich heute mal wieder im Bett bliebe. Die Entscheidung ist schnell getroffen. Ich werde zu Hause bleiben, einfach so, weil ich's kann. Meinen Spontanentschluss untermauere ich, indem ich mich wieder ins Schlafzimmer schleppe, mir zwei Kissen hinter den Rücken schiebe und den Fernseher einschalte. Mein schnurloses Telefon lege ich für den obligatorischen Krankenanruf auf den Nachttisch. Spätestens bis zehn Uhr sollte ich im Laden Bescheid gesagt haben. Sich krankmelden war schon immer eine lästige Sache. Zu Schulzeiten musste man den Eltern irgendwelchen Quark vor-spielen, jetzt sich selbst. Die Lösung des Problems wäre natürlich, dass man seinen Job gerne macht, aber so was gibt es natürlich nicht. Zumindest hat mir noch nie jemand davon erzählt. Ich zappe mich zu n-tv. Dort purzeln inzwischen die Börsenkurse.
Allianz 106,70 -2,8 %, Bayer 19,30 -4,7 %, Commerzbank 15,90 -1,0 % zeigt das Laufband, und ein aufgeregtes Kartoffelgesicht erzählt den Zuschauern was von Gewinnmitnahmen. Ich frage mich, wie man Gewinne mitnehmen kann, wenn die Kurse fallen. Aber deswegen bin ich ja im Bett, und das Kartoffelgesicht ist bei n-tv und nicht anders-rum. Die Uhr im rechten, oberen Bildrand zeigt 9 Uhr 57 Es wird also langsam Zeit, dass ich mir eine hübsche kleine Krankheit ausdenke. Ich blicke zur Decke und denke angestrengt nach. Gestern stand Verkaufsprofi Simon ja noch recht munter im Frack, also wäre Grippe jetzt nicht die glaubwürdigste Entschuldigung. Die vietnamesische Blitzgrippe? Auch Unsinn. SARS oder AIDS wäre wahrscheinlich auch ein bisschen übertrieben, und AIDA ist bestenfalls ein Clubschiff und keine Krankheit. Pest fände ich lustig, aber womöglich kommen dann zwei Weißkittel vom Hamburger Tropeninstitut, die mich zwei Jahre in Quarantäne stecken, und dann kann ich gar keine Pints mehr trinken, sondern bekomme irgendwelchen Dinkelbrei aus Schnabeltassen oder Antibiotika, so wie die armen Shrimps. Eine Shrimps-Vergiftung? Das ist es! Ein winziger, hinterhältig verseuchter Shrimp hat mich hingerafft, als ich mir gegen Mitternacht noch was zu essen geholt habe. Ich stelle den Fernseher leiser und räuspere mich. Dann sage ich zwei Mal laut »Test, Test« und »Haaaaallo Köln! Wie geht's euch?« und greife zum Hörer. Es tutet drei Mal und ich bin heilfroh, dass weder Flik rangeht noch die Eule, sondern mein bebrillter Kollege Volker. Ich versuche, möglichst leidend zu klingen, als ich von meinem verseuchten Shrimp erzähle.
»Wo kriegst du denn um Mitternacht Shrimps her?«
Zu blöd. Daran hab ich gar nicht gedacht.
»Na vom Türken!«, sage ich und höre, dass Volker am anderen Ende der Leitung stumm bleibt.
»Es war ein Shrimpsdöner!«, ergänze ich sicherheitshalber.
»Aha! «
Damit sich Volker ein möglichst umfassendes Bild von meiner Erkrankung machen kann, informiere ich ihn noch von der aktuellen Konsistenz meiner Stoffwechselendprodukte und lasse auch nicht unerwähnt, dass meiner Meinung nach ein Land, das derartig miese Lebensmittel produziert, nichts in der EU verloren hat. Volker wünscht mir gute Besserung, bevor ich die Menschenrechtssituation und das Kurdenproblem ansprechen kann, und das war's dann auch schon. Geschafft! Ich lege das Telefon unter das Kissen neben mir und konzentriere mich wieder auf n-tv.
Schering 41,70 -1,2 %, Siemens 56,89 -3,8 %, Simon Peters 0,29 -180,0 %.
Simon Peters?
Der Kurs des von Finanznöten und persönlichen
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