Vollmeisen
soweit ich es sehen konnte, ohne Pistole in der Hand, aus dem Stall.
»Er ist es«, schrie ich schrill, »das ist der Viehdieb!« Während Bauer Erich seine Schrotflinte durchlud, gingen in allen Häusern die Lichter an, und die Nachbarn rannten zu uns. Alle im Schlafanzug und die meisten ebenfalls mit einer Schrotflinte bewaffnet. Oha, ein bis an die Zähne bewaffnetes Dorf. Aber hatte Anneliese mir nicht mal erzählt, dass hier fast jeder Mann zur Jagd ging? Eigentlich konnte ich Jäger gar nicht leiden, aber heute liebte ich sie.
Simon war vor der Stalltür zusammengesunken und schrie jetzt auch. Allerdings vor Schmerzen, denn wir hörten ihn »Mein Bein, mein Bein, die ScheiÃkuh hat mir mein Bein gebrochen« rufen. Aber auch ohne gebrochenes Bein wäre er nicht mehr weggekommen, sieben Nachbarn und Bauer Erich standen vor ihm und zielten mit ihren Gewehren auf ihn.
Langsam konnte ich wieder klar denken. Aber je klarer mir meine Situation wurde, umso deutlicher wurde mir auch die Gefahr, in der ich gesteckt hatte. Meine Beine waren ganz weich. Du darfst jetzt nicht schlappmachen, sagte ich mir, warte damit, bis die Polizei kommt und Simon abtransportiert. Während ich mir diesen Satz vorbetete, sah ich aus den Augenwinkeln einen Mann auf den Hof stürzen. Und dieser Mann war Nick, nur mit einer Jeans bekleidet und in der Hand seine Dienstwaffe.
»Polizei, was ist hier los?«, brüllte er.
Bauer Erich drehte sich zu ihm um. »Alice hat den Viehdieb entdeckt«, rief er. Nick warf einen Blick auf den vermeintlichen Viehdieb und dann auf mich. Also, mich hatten schon mal nettere Blicke getroffen, so böse hatte er mich noch nie angesehen.
»Haltet ihn weiter in Schach, ich bin sofort wieder da«, sagte Nick zu den Männern und kam wirklich in kürzester Zeit wieder, mit Handschellen. »Herr Berger, ich verhafte Sie wegen VerstoÃes gegen das Betäubungsmittelgesetz, Steuerhinterziehung und Hehlerei.« Während er ihm die Handschellen umlegte, erklärte er ihm seine Rechte. Danach nahm er sein Handy und sprach hektisch hinein. Und dann kam leider der Moment, in dem er sich an mich wandte: »Mir fällt im Moment gar nichts ein, was ich dir sagen könnte, und das ist vielleicht auch besser so. Was hast du dir nur dabei gedacht?«, fuhr er mich wütend an.
Vor meinen Augen begann sich alles zu drehen. Ich blickte zu Nick auf und sagte nur noch: »Ich wollte doch einen Abschluss.« Und dann fiel ich in Ohnmacht.
Ich kam wieder zu mir, weil mir ein scharfer Geruch in die Nase stieg. Susi und Anneliese knieten neben mir und wedelten hektisch mit einem offenen Päckchen Fishermanâs Friend vor mir herum. Ich schob die Tüte weg und setzte mich auf.
»Hab ich dir doch gesagt, dass das wirkt«, hörte ich Anneliese triumphierend sagen. »Dein Cillit Bang hat das nicht geschafft.«
Tatsächlich, Susi war mit einer Putzmittelflasche bewaffnet.
»Gehtâs dir gut?«, fragte sie. »Wir sind alle so stolz auf dich, dass du den Viehdieb erwischt hast. Wie hast du den denn entdeckt?«
»Das ist eine lange Geschichte«, seufzte ich, »und ich verspreche euch, dass ich sie euch morgen erzähle. Aber ich glaube, ich müsste jetzt mal zu Nick.«
»Hast du uns gar nicht gesagt, dass er Polizist ist«, beklagte sich Anneliese.
»Also ich habe mir das von Anfang an gedacht«, prahlte Susi, »schau ihn dir doch mal an, er wirkt so entschlossen und durchtrainiert.« Sehnsüchtig blickte sie auf Nicks nackten Oberkörper.
Wir beide taten es ihr nach und sahen, wie er auf den eintreffenden Streifenwagen und den Rettungswagen zuging.
»Was du für ein Glück hast«, stöhnte Susi, »der ist einfach fantastisch.« Ob er das über mich auch noch sagen würde, war ich mir nicht sicher. Nachdem er mit den Polizisten gesprochen hatte, gingen die mit den Sanitätern zu Simon und brachten ihn auf einer Trage zum Rettungswagen. Begleitet wurde diese Prozession von bösen Blicken und Rufen.
»Lass dir das eine Lehre sein, das geschieht dir ganz recht«, rief einer und ein anderer: »Mit Viehdieben machen wir hier kurzen Prozess, bist noch glimpflich davongekommen.«
In der Aufregung hatte wohl niemand zugehört, als Nick ihn verhaftete, von Viehdiebstahl war, glaube ich, nicht die Rede gewesen.
Simon sah die Leute verständnislos an, schloss resigniert die Augen und
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