Vollmondfieber: Roman (German Edition)
und verschwanden schließlich in einem schmalen Durchgang zwischen zwei Gebäuden. Das Licht der Straßenbeleuchtung fiel hier nicht mehr hinein. Was, wie ich vermutete, als Ladezone begann, verjüngte sich zwischen den Gebäudekomplexen rechts und links davon zu einer Gasse, in der keine zwei Personen nebeneinander hergehen konnten – jedenfalls nicht, wenn eine davon Rourkes breite Schultern hatte.Aber Rourke hatte ja kein Problem damit, mich hinter sich herzuschleifen.
»Rourke, wohin gehen wir?«, flüsterte ich.
»Zu meiner Karre.«
Irgendwie war mir sofort klar, dass er nicht von einem Auto sprach.
Aufmerksam musterte er unterwegs alle Gebäude in unserer Umgebung und nahm dabei ständig Witterung auf. Ich tat es ihm nach. Dann und wann witterte ich einen Werwolf, aber keiner davon befand sich in unserer Nähe. Dabei sollten sie eigentlich in Massen hinter uns her sein. »Rourke, warum sind die nicht hier draußen?«, fragte ich. »Wir sollten in wütenden Wölfen geradezu ersaufen. Sie hätten überall sein müssen, gleich als wir aus der Bar raus sind.«
Rourke sah sich über die Schulter zu mir um. Seine Augen waren nun vollständig grün und glühten im Dunkel wie zwei Smaragdringe. »Entweder dein Rudel beschäftigt sie zu sehr, oder hier geht noch was anderes vor.« Er schnüffelte wieder und runzelte die Stirn. »Mir gefällt das auch nicht. Es ist zu einfach. Irgendwas stimmt nicht. Es fühlt sich nicht nach einem richtigen Krieg an. Es fühlt sich an, als würden sie etwas suchen.«
Noch einmal versuchte ich, mich seinem Griff zu entwinden, und erntete ein leises Knurren. »Mach so weiter, und ich schmeiß mir dich wieder über die Schulter!«
Wir ließen die letzten beiden Gebäude hinter uns und kamen auf einer Straße heraus, der wir dicht an den Fassaden der Geschäfte entlang folgten. Die Gegend war mir vertraut. Dies war der letzte Block, ehe das Viertel an den Eisenbahnschienen endete. Die Gleise verliefen direkt vor einem trockengefallenen Hochwasserschutzkanal über die Straße. Die Gegend sah genauso aus, wie man es erwarten durfte: eine lange Reihe alter, heruntergekommener Häuser, von denen die meisten schon seit Jahren leer standen. Jenseits der Schienen führte ein Highwayüber eine Hochstraße in die Ferne. Häuser gab es dort nicht mehr.
Vor uns, noch ein Stück die Straße hinunter, sah ich ein einsames Motorrad in einem Arkadengang vor einem aufgelassenen Geschäft parken.
»Wie hast du es geschafft, heute Abend ungesehen von hier aus bis in die Bar zu kommen?«, fragte ich neugierig.
»Ich bin schon seit gestern hier. Hab auf dem Dach der Bar geschlafen und bin die Feuerleiter runter.«
»Auch eine Möglichkeit.« Listige Katze.
Rourke zuckte mit den Schultern. »Das war nicht sonderlich schwer. Nachdem ich dir meinen Namen genannt hatte, war klar, dass dein Rudel alle strategisch in Frage kommenden Örtlichkeiten ausschnüffelt. Die Straße hier fällt nicht darunter.« Er zeigte voraus. »Das ist eine Sackgasse. Zurück geht’s also nur wieder in die Richtung, aus der wir gekommen sind.«
»Und wenn wir jetzt in der Falle sitzen? Kommen wir dann gar nicht mehr hier raus?«
Mit einem Nicken deutete er in Richtung Bahndamm und Hochwasserkanal. Diese trennte nur ein verrosteter Maschendrahtzaun vom Wohnviertel. Vom Gleisbett aus führte dann noch eine Böschung hinunter in den Kanal, die bis zur Hälfte gras- und unkrautbewachsen war, ehe sie in rissig gewordenen, alten Beton überging. Das war alles, was man dem Fluss, der nur bei Extremregen existierte, als Bett gelassen hatte.
»Da rüber? Wie soll das gehen?« Es gab in beide Richtungen auf beinahe zweieinhalb Kilometern keine ernst zu nehmenden Bahnübergänge.
»Wir fahren, Herzchen.«
»Hä?«
Gebrüll wurde hinter uns laut. Rourkes Griff um meinen Arm spannte sich, und er lief noch schneller weiter. Als wir beinahe die altehrwürdige Harley Davidson erreicht hatten, drehte ich michum und sah ihn: jemanden, der in hohem Tempo um die Ecke raste und dabei wilde Flüche über die Schulter brüllte – jemanden, der mir nur allzu vertraut war.
Herrgott noch mal! »Tyler!« , schrie ich.
Schlitternd kam er zum Stehen. Seine Augen leuchteten golden. Sein Hemd war zerfetzt und voller dunkler Flecken.
»Ist das da Blut? Bist du verletzt?«, schrie ich und versuchte mit aller Kraft, mich loszureißen. Aber Rourke hielt mich nach wie vor fest. »Tyler, antworte mir!« Dann drehte ich mich wieder um. »Rourke,
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