Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Vollmondkuss

Titel: Vollmondkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schroeder
Vom Netzwerk:
U-Bahn-Station. Sie wollte weder mit Anna noch mit sonst jemandem reden. Rouben war sie aus dem Weg gegangen, so gut es ging. Zuletzt hatte sie ihn zwei Stunden zuvor in Biologie gesehen. Inzwischen war Jolin nicht einmal mehr sicher, ob er das mit dem Zusammenlernen wirklich ernst gemeint hatte. Jedenfalls fühlte sie sich nicht verpflichtet. Außerdem hatte sie keine Ahnung, ob er überhaupt noch in der Schule war.
    Sie hastete die Treppe hinunter, da fiel ihr plötzlich ein, dass sie eigentlich noch ins Antiquariat wollte. Jolin stoppte kurz vor dem Bahnsteig und überlegte. Sollte sie noch einmal zurücklaufen? Eigentlich hatte es doch auch noch Zeit bis morgen. Sie spürte die Tasche unter ihrem Arm, und plötzlich hatte sie sogar das Gefühl, das Buch zu spüren. - Blödsinn! Jolin lief weiter. Aber es half nichts. Das Buch, die Baronesse, Victor, sie alle saßen nun in ihrem Kopf fest. Es war albern und Jolin nahe davor, über sich selbst zu lachen, doch die Vorstellung, noch eine weitere Nacht zusammen mit diesem Buch in ihrem Zimmer verbringen zu müssen, noch einmal dieses schrecklich drückende Durcheinander zu träumen, machte sie nervös. -Himmel nochmal! Mit einem Ruck drehte sie sich um und rannte die Treppe hinauf. Ein paar Tauben, die sich über zwei heruntergefallene Pommes hermachen wollten, stoben auseinander, und da sah sie ihn plötzlich, den Typen mit dem dunklen Mantel und dem schwarzen Lederhut. Er ging nur ein paar Meter vor ihr, hielt den Kopf gesenkt und verschwand hastig in einer Seitenstraße. Für einen kurzen Moment sah Jolin sein Profil und registrierte, dass seine Haut sehr hell war und dass er wieder diese breite Sonnenbrille trug. Eine Sonnenbrille, obwohl es schon fast dunkel war. Verrückt! Dieser Typ musste ein Freak sein, einer dieser irren Künstler, der sich einen Spleen hielt wie andere Leute Hunde oder Katzen. Vielleicht bildete er sich ein, dass bereits der Gedanke an Tageslicht seiner Netzhaut schadete. Jolin dachte an Michael Jackson. Sie musste grinsen, und das beruhigte sie.
    Als das Schulgebäude in Sichtweite kam, wechselte sie die Straßenseite und überquerte den kleinen Parkplatz, in den das Mühlengässchen mündete. Es war eng und mit Kopfstein gepflastert. Jedes Mal wenn Jolin hier einbog, kam es ihr vor, als ob sie in die Vergangenheit eintauchte. Die Häuser waren schmal und reckten sich windschief in den Himmel, und sobald man die ersten vier oder fünf Lädchen passiert hatte, war der Verkehrslärm kaum noch zu hören.
    Das Antiquariat Lechtewink lag zwischen einem Juwelier und einem winzigen Bäcker, der selbst bei geschlossener Ladentür einen unwiderstehlichen Duft verströmte. Manchmal schaffte Jolin es nicht, daran vorbeizugehen, ohne sich eine der köstlichen Gewürzschnitten zu kaufen, doch heute hatte sie es so eilig, dass sie nicht einmal einen Blick auf das altmodische Armband mit den geheimnisvoll schimmernden blauen Saphiren warf, das seit Wochen die Auslagen des Juweliers krönte und Jolin immer wieder aufs Neue in den Bann zog. Schon oft hatte sie sich vor-gestellt, wie sie es sich übers Handgelenk streifte. Heute jedoch verschwendete sie keinen Gedanken daran, heute wollte sie ohnehin nur das Buch zurückgeben und dann gleich wieder nach Hause. Sie hatte nicht einmal Lust, nach einem anderen zu stöbern.
    Die Glocke läutete, als Jolin den Laden betrat. Er war leer bis auf zwei Männer, die am alten verschnörkelten Holztresen standen und sich mit dem Inhaber Ansgar Lechtewink unterhielten. Jolin beugte sich über die Kästen vor dem Regal, in dem sich die Angebote befanden. Als sie sich unbeobachtet fühlte, öffnete sie ihre Tasche, zog das Buch hervor und steckte es in eine Lücke. Der schwarze samtige Einband hinterließ ein ungewohnt kühles Gefühl an ihren Fingerspitzen. Jolin zog ihre Hand zurück und starrte auf das Buch.
    »Hat Ihnen der Roman nicht gefallen?« Ansgar Lechtewink war hinter dem Tresen hervorgetreten und kam nun langsam auf sie zu.
    Jolin blickte auf. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass die beiden Männer den Laden verlassen hatten. Herr Lechtewink stand nun direkt vor ihr. Er war klein und dünn, trug eine braune Cordjacke und ein gestreiftes Hemd. Seine Nase war lang und spitz, aber seine braunen Augen blickten freundlich. Obwohl die wenigen Haare, die er noch hatte, schlohweiß waren, wirkte er sehr jugendlich.
    »D-doch«, stammelte Jolin.
    Der Antiquar nickte. »Es ist ein sehr altes Buch, von dem nur noch wenige

Weitere Kostenlose Bücher