Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Vollmondkuss

Titel: Vollmondkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schroeder
Vom Netzwerk:
auf, verlor ihre Achtsamkeit und wandte den Kopf. Rouben stand direkt neben ihrer Rückenlehne. Er hatte die Hand locker um die Haltestange gelegt und hielt den Blick seiner dunklen Augen fest auf sie gerichtet.
    »Was ist denn? Warum starrst du mich so an?«, zischte Jolin. Das Frösteln zog ihren Nacken hinauf. Sie spürte, wie sich die feinen Härchen dort aufstellten. Hastig drehte sie den Kopf zurück.
    Die beiden Männer, die ihr gegenübersaßen, ließen ihre Blicke langsam über ihr Gesicht wandern und schauten dann zu Rouben hinauf. Ihre Mienen wirkten müde, geradezu gelangweilt. Die würden ihr nicht helfen, auch in einer ernsten Situation nicht.
    »Wir müssen gleich raus«, sagte Rouben.
    »Nein.« Jolin schüttelte den Kopf. Zögernd blickte sie zu ihm hoch. »Es ist noch eine weiter«, sagte sie. »Die übernächste ist Lessingallee.«
    Rouben nickte. »Ach ja, erst die übernächste. Ich dachte ...«
    »Was?«
    »Ach nix, ich hab es wohl noch nicht drauf.«
    Das war es also! Er kannte sich nicht aus. Er hängte sich nur so an sie, weil er sich unsicher fühlte. - Herrgott nochmal, war sie bescheuert! Wie hatte sie bloß denken können, dass er eine Bedrohung für sie war! Oder dass er was von ihr wollte. - Ausgerechnet von ihr!
    Wie bist du denn gestern zur Schule gekommen?, lag es ihr auf der Zunge zu fragen, aber sie verkniff es sich. Jolin war ernüchtert, fast ein wenig enttäuscht. Die Männer von gegenüber glotzten sie an, und Jolin senkte verschämt den Kopf.
     
    In der ersten Doppelstunde hatten sie Mathematik. Anna lehnte an der Wand neben der Tür und schien auf sie zu warten. Jolin verzögerte ihren Schritt. Das war genau die Situation, die sie vermeiden wollte. Keine Entschuldigung jetzt wenige Minuten vor Unterrichtsbeginn. »Hallo«, sagte sie und ging langsam an Anna vorbei. »Hallo«, sagte Anna. Sie versuchte nicht, Jolin aufzuhalten, sie wandte sich direkt an Rouben. »Hallo.«
    Rouben blieb stehen. Jolin stoppte ebenfalls, allerdings erst, nachdem sie die Schwelle übertreten hatte und sich außerhalb von Annas Sichtweite befand. »Ja?«, hörte sie Rouben fragen.
    »Es ist so ...«, begann Anna umständlich. »Meine Freundin hat am Wochenende Geburtstag ...« Das war eine Lüge. Weder Klarisse noch Melanie, Susanne oder eines der anderen Mädchen aus der Sechserclique war in den Wintermonaten geboren. »Klarisse ...« Klarisse - Ha! Fast hätte Jolin aufgeschrien. Sie atmete tief durch und lauschte. »... sie feiert am Samstag eine Party«, fuhr Anna fort. Sie klang nervös.
    »Aha«, sagte Rouben. »Das ist ja schön für sie.«
    »Ja ...«, sagte Anna. »Also Klarisse ... Sie hat mich gebeten, dich zu fragen, ob du nicht vielleicht auch kommen willst.«
    »Ich?« Rouben schien ehrlich überrascht. »Wieso ...? Ich meine, ich bin doch völlig neu in eurem Jahrgang, wir besuchen nicht einmal die gleichen Kurse ...« Das hat er also schon geblickt, dachte Jolin erstaunt. Aber die U-Bahn-Stationen und den Weg zum Schulgelände wollte er nicht kennen.
    »Na und?«, sagte Anna viel zu schnell. »Also ... Wir finden einfach, dass es eine gute Gelegenheit ist, einander ein bisschen besser kennenzulernen und dich als Neuen schneller in unseren Jahrgang zu integrieren.« Danach herrschte Schweigen. Jolin spürte Annas Anspannung bis in den Unterrichtsraum hinein. »Ja ... mal sehen ...«, hörte sie Rouben schließlich sagen. »Wer kommt denn überhaupt so?... Jolin?«
    »Jolin? Nein.«
    »Nicht?«
    »Klarisse hat nicht viel mit ihr am Hut.«
    »Und du?«, fragte Rouben.
    »Ich?«, rief Anna. »Oh ich. Ja, ich schon. Also ...«
    »Weißt du, ich bin mit Jolin in der U-Bahn gefahren. Wir sitzen nebeneinander, zumindest im Englisch-GK«, sagte Rouben. »Ich fand es irgendwie nett, wenn sie auch dabei wäre. Vielleicht gibt diese Klarisse sich ja einen Ruck ...« Diese Klarisse! Jolin hätte losjubeln können. »... wenn sie unbedingt möchte, dass ich komme«, fuhr Rouben fort. »Warum hat sie mich eigentlich nicht selbst gefragt?«
    »Oh, das hätte sie. Ganz bestimmt.« Anna fing an zu stammeln. »Ich wollte nur ...« Sie stockte.
    »Ja ...?« Roubens Stimme klang wie dunkler Sirup, der einem langsam in den Magen hinunterfloss. Er hatte Anna durchschaut. Er genoss es, sie zu reizen. Dieser Rouben war einfach unglaublich. Die Euphorie in Jolins Herzen verlosch, und plötzlich war es wieder da, dieses beklemmende Unbehagen, diese leise unerklärliche Angst, die sie bereits in der U-Bahn

Weitere Kostenlose Bücher