Vollmondkuss
Mal spürte Jolin wieder diese nagende Wut in ihrem Herzen, die sie in letzter Zeit immer überkam, sobald sie sich ausgenutzt und zugleich ohnmächtig ausgeliefert fühlte.
Jolin wurde steif. Sie lehnte den Kopf zurück, spannte ihren Körper und sträubte sich gegen den Druck seiner Hände. Ihre Augen hatte sie zur Seite gedreht, aber Roubens Blick brannte wie eiskaltes Feuer auf ihrer Gesichtshaut. »Sieh mich an«, wisperte er.
Seine Stimme klang warm und dunkel, geradezu verführerisch. Aber Jolin wollte ihr nicht nachgeben. Plötzlich hatte sie Angst, in seine schwarzen Augen zu sehen und sich womöglich darin zu verlieren. Sie wollte um jeden Preis die Kontrolle behalten, konnte den Gedanken, dass er sie ganz und gar beherrschte, einfach nicht ertragen.
»Jolin, bitte.«
»Rouben ... ich ...«
»Warum?«, fragte er.
Warum was?, hätte sie beinahe zurückgefragt. Doch sie schwieg hartnäckig. Irgendwann würde dieser Song vorbei sein, dann konnte sie sich von ihm lösen und würde nie wieder mit ihm tanzen. Nie, nie wieder.
»Spürst du denn nicht ... ?«
Was denn? Was? Was meinst du?, schrie eine Stimme in ihr. Ihr Herz klopfte so rasend schnell, dass ihr schwindelig wurde. Ihre Kehle war schrecklich trocken, sie musste unbedingt etwas trinken, sofort, sonst würde sie verdursten. Während Jolin sich drehte, in Roubens Armen und gleichzeitig in sich selbst, bemerkte sie Annas Gesicht. Jolin streckte die Hand nach ihr aus, so als ob Anna ihre Rettung wäre. »Nur ein Glas Wasser. Bitte!«, flehte sie leise.
Anna rührte sich nicht. Niemand rührte sich. Stairway to Heaven verklang, und alle starrten sie an. Sie und Rouben. Plötzlich ertönte ein Lachen. Klarisses Lachen. Laut und hysterisch. Dann blitzte ein Licht auf.
Reflexartig hob Rouben den Arm, um sein Gesicht zu verdecken, und wich zurück.
»Was hast du denn?«, rief Klarisse. Sie ließ die Hand, in der sie die Kamera hielt, sinken und kam langsam auf Rouben zu. Jolin trat einen Schritt zur Seite. Sie war noch immer ganz durcheinander und hatte keine Lust, sich ausgerechnet jetzt Klarisses dumme Kommentare anzuhören.
»Was fällt dir ein, mich zu fotografieren!«, fuhr Rouben Klarisse an.
»Warum regst du dich denn so auf?«, erwiderte sie mit zuckersüßer Stimme. »Erstens habe ich nicht dich, sondern Jolin und dich fotografiert. Und zweitens ...«, sie brach ab und blickte ihn herausfordernd und trotzig zugleich an, »... finde ich dich so umwerfend attraktiv, dass ich mir ein Foto von dir auf den Nachttisch stellen möchte.«
Jolin senkte den Kopf. Sie schämte sich geradezu für Klarisses direkte und zügellose Art.
»Du meinst wohl von Jolin und mir«, sagte Rouben kühl.
Jolin spürte, dass er ihren Blick suchte. »Ich glaube, ich habe keine Lust mehr, hier zu sein ... Du?«, hörte sie ihn fragen.
Ich wollte nie hierher, dachte sie. Ich bin doch nur mit-gekommen, weil du es dir so sehr gewünscht hast. Und weil ich wissen wollte, ob es einem der Mädchen gelingt, dich zu verführen, musste sie sich bitter eingestehen.
Rouben umfasste ihr Handgelenk und zog sie sanft, aber nachdrücklich auf die Tür zu.
»Ja dann!«, keifte Klarisse hinter ihnen her. »Dann vergnüg dich mal schön mit unserer knochigen Weltverbesserin. Viel Spaß!«
Jolin schoss die Hitze ins Gesicht. Wütend folgte sie
Rouben, der bereits die Tür geöffnet hatte, und eilte hinter ihm her die Treppe hinauf.
» He, warte doch mal!«, rief Anna. »Jetzt seid doch nicht gleich beleidigt. Klarisse hat das alles nicht so gemeint. Jolin, du kennst sie doch.«
»Allerdings«, presste Jolin hervor. Sie war stehen geblieben, wandte sich aber nicht um, damit Anna ihre feuchten Augen nicht sah.
»Jol, bitte.«
»Warum, Anna? Warum sollten wir noch hierbleiben?«, fragte Jolin. »Nur damit ihr euch auf unsere Kosten amüsieren könnt?«
»Du hast vollkommen recht«, sagte Rouben. »Es tut mir leid, dass ich dich gebeten habe, mitzukommen.« Er öffnete die rechte Hintertür des C6 und wartete, bis Jolin eingestiegen war.
»Schon gut«, sagte sie, bevor er die Tür ins Schloss drückte.
Rouben nickte ihr zu, umrundete den Wagen und stieg auf der anderen Seite ein.
»Und jetzt?«, fragte Jolin.
»Bringe ich dich nach Hause.«
»Okay.« Sie wusste nicht, ob sie enttäuscht oder erleichtert sein sollte. Es war immer wieder das gleiche Gefühl, und allmählich machte es sie verrückt. »Und was ist mit dir?«
»Ich weiß es noch nicht.« Rouben nannte dem
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