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Vollmondkuss

Titel: Vollmondkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schroeder
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Zeit, in der sie sich die Dinge schönreden oder versuchen konnte, sich ihnen zu entziehen, war endgültig vorbei. Jolin musste handeln. Doch was sollte sie tun? Zur Polizei gehen und Rouben anzeigen? Denn ganz egal, was er war - ein Vampir, ein eingebildeter Affe, der es verstand, ein Geheimnis aus sich zu machen, oder schlichtweg ein Mysterium, das Klarisse aufgebaut hatte -, er musste von der Schule, am besten noch aus der Stadt verschwinden. Es war für niemanden gut, dass er hier war. Er hatte alles durcheinandergebracht. Doch je länger Jolin darüber nachdachte, wie es wäre, wenn sie ihn tatsächlich meldete, desto unsicherer wurde sie.
    Im Geiste sah sie sich bereits mit den Beamten reden. Zwei große Männer in ihren graublauen Uniformen, die auf sie herabblickten und in deren Gesichtern sie wie in einem Buch lesen konnte. Natürlich würden sie ihr nicht glauben. Ihr Klassenkamerad hat also die Hunde getötet und ihnen das Blut ausgesaugt?, hörte Jolin den einen sagen und sah zugleich das höhnische Lächeln im Gesicht des anderen. Auch wenn die ermittelnden Behörden die Absonderlichkeit der Tötung der Hunde erkannt hatten, erwarteten sie wohl eher, eines Tages die Mutation einer Fledermaus zu entdecken und dafür verantwortlich machen zu können, als dass sie ernsthaft die Möglichkeit in Betracht zogen, dass ein Vampir diese Tat begangen haben könnte.
    Nein, all das, was sich für Jolin theoretisch zu einem schlüssigen Bild zusammenfügen konnte, musste in den Augen nüchtern in die Welt blickender Beamter barer Unsinn sein. Nicht einmal mit Klarisses Foto würde sie irgendetwas beweisen können. Das haben Sie doch im Labor verändert oder am PC zusammengeschnitten. Abfälligkeit in den Stimmen der Polizisten, ein weiteres spöttisches Lächeln. Wahrscheinlich würde Jolin froh sein können, wenn sie keinen Ärger wegen Irreführung oder Vortäuschung falscher Tatsachen bekam. - Nein, die Idee, Rouben anzuzeigen, konnte sie absolut vergessen!
    »Warum ausgerechnet ich?«, wisperte sie.
    Diese Frage hatte Jolin sich nun schon so oft gestellt, aber noch nie war sie ihr mit einer solchen Macht ins Bewusstsein gestoßen. Sie fühlte sich regelrecht ausgeliefert. Wenn Rouben tatsächlich ein Vampir war, grenzte es geradezu an ein Wunder, dass er sie sich noch nicht geholt hatte. Die Gelegenheit dazu hatte er schließlich mehr als nur einmal gehabt. Sie musste verrückt, nein geradezu töricht gewesen sein, dass sie sich von ihm und seinem seltsamen Fahrer durch die halbe Stadt hatte kutschieren lassen. Aber sie hatte es ja nicht wahrhaben wollen. Lieber hatte sie gehofft, dass sie vielleicht doch etwas Besonderes für ihn wäre.
    Anna hatte ja so recht: Dass sie wenig unterhaltsam für andere war, spürte Jolin in diesem Augenblick schmerzhafter als je zuvor. Wie oft hatte sie Demütigungen einfach weggeschluckt, Hänseleien nicht wirklich gehört, sich eingeredet, dass die Dinge, um die sie sich Gedanken machte, wahnsinnig interessant waren, und mit welcher Ausdauer hatte sie sich eingeredet, dass ihr Leben intensiv und Annas dagegen über alle Maßen oberflächlich war!
    Wut stieg in ihr auf. Es war wieder einmal diese böse, ungezügelte Wut, die sie mittlerweile schon als so vertraut empfand. Wut, die ihr Kraft gab, zugleich aber auch das unangenehme Gefühl der Ohnmacht in ihr auslöste. Jolin schloss die Augen und ließ ihre Stirn gegen die kühle Außenwand sinken. Sie stöhnte leise und ballte die Fäuste, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten.
    Einen Augenblick lang stand sie so da, dann zwang sie sich, die Augen wieder zu öffnen, ebenso ihre Hände. Bloß nicht die Kontrolle verlieren, um gar keinen Preis sich einer Sache hingeben, dessen Ausgang sie nicht absehen konnte - Nein! Das war nichts für sie. So etwas tat nur Klarisse.
    Sollte sie sich doch mit Rouben treffen! Wenn sie es unbedingt brauchte! Wenn sie das Foto nicht retuschiert hatte, dann wusste sie, was sie riskierte. Und vielleicht würde er danach ja sogar ebenso sang- und klanglos wieder verschwinden, wie er vor ein paar Wochen aufgetaucht war - und damit dann auch endlich wieder Ruhe in Jolins Leben einkehren!
     
    Um sechs Uhr in der Früh war Jolin so erschöpft, dass sie ohne Probleme hätte einschlafen können, wenn sie sich hingelegt hätte. Sehnsüchtig blickte sie zu ihrem Bett hinüber, entschied sich dann aber doch, besser eine ausgiebige Dusche zu nehmen, raffte ein paar Sachen zusammen und schlüpfte ins

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