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Vollmondkuss

Titel: Vollmondkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schroeder
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dass er nach einer Nacht mit mir gleich zu dir zurückrennt.«
    »Das ist ja wohl nicht mein Problem.«
    »Okay«, sagte Klarisse gepresst. »Okay.«
     
    Paula und Gunnar Johansson saßen eng beieinander auf dem Sofa und unterhielten sich so intensiv, dass Jolin keine Mühe hatte, unbemerkt aus der Wohnung zu schlüpfen. Leise zog sie die Tür hinter sich zu und huschte die Treppen hinunter. Sie verzichtete darauf, das Treppenhauslicht ein-zuschalten, und ihre Augen gewöhnten sich ungewohnt rasch an die Dunkelheit. Aus den einzelnen Wohnungen drangen Stimmen, Musik und Fernsehgeräusche.
    Als Jolin den Absatz zum ersten Stockwerk erreichte, sah sie, dass jemand auf der Treppe stand. Es war eine schmale, hoch gewachsene Gestalt, die einen Hut und einen schwarzen Mantel trug.
    Jolin stoppte augenblicklich. Mit wild pochendem Herzen starrte sie die Gestalt an. »Rouben?«, wisperte sie. »Rouben, bist du das?«
    Er antwortete nicht. Jolin konnte nicht einmal klar erkennen, ob er überhaupt zu ihr hochsah. Es war nicht Rouben. - Oder?
    Sie räusperte sich. »Ist alles in Ordnung?«, fragte sie. »Kann ich Ihnen helfen?«
    Es kam noch immer keine Antwort.
    Jolin überlegte, ob sie wieder zurück nach oben laufen sollte. Die Verlockung war genauso groß wie ihre Angst, doch dann fiel ihr Blick auf das rötlich leuchtende Lämpchen in der Mitte des Lichtschalters. Er war nicht weit von ihr entfernt. Vielleicht konnte sie ihn erreichen, ohne sich von der Stelle bewegen zu müssen. Langsam streckte sie ihren Arm aus. Natürlich war er zu kurz, aber viel fehlte nicht, nur noch ein paar Zentimeter. Jolin hielt den Atem an. Den Blick unentwegt auf die reglose Gestalt gerichtet, beugte sie sich vor. Sie spürte den kühlen Kunststoff an ihren Fingerspitzen, dann die kaum wahrnehmbare Wärme des kleinen Lämpchens. Jolin drückte zu. Es machte Klack!, und über ihr flackerte die flache runde Lampe aus Milchglas auf. Jolin blinzelte. Sie verlor die Gestalt aus dem Blick. Als sie wieder richtig hinsehen konnte, bemerkte sie nur noch eine schemenhafte Bewegung, das Forthuschen des dunklen Stoffes und schließlich das Schlagen der Haustür. - Kein Zweifel, es musste Rouben gewesen sein!
    Jolin lehnte sich gegen die Wand und blieb eine Weile still stehen. Das Licht ging aus, sie machte es wieder an. Dreimal die gleiche Prozedur, dann erst wagte sie sich weiter hinunter. Als sie an der Stelle vorbeikam, an der er gestanden hatte, wurde sie von einer eisigen Kälte umfangen. Jolin zuckte zurück. Sie zögerte.
    Du willst nicht, dass ich mir das Foto hole, dachte sie. Du willst verhindern, dass ich Gewissheit bekomme. Warum tötest du mich nicht einfach? So wie den kleinen Flocki oder die anderen beiden Hunde, den Schäferhundmischling und Helma.
    Jolin wusste keine Antwort darauf. Obwohl sie das Vampirbuch mühsam zu Ende gelesen hatte, obwohl sie jetzt wusste, wie diese Wesen sich verhielten, konnte sie sich auf nichts, was seit Roubens Auftauchen in ihrer Schule geschehen war, wirklich einen Reim machen. Rouben war und blieb ihr ein Rätsel, und erst recht der Umstand, was all das mit ihr zu tun hatte.
    Vielleicht würde sie in einer Dreiviertelstunde ein wenig, vielleicht sogar entscheidend mehr wissen. Doch auch dieser Gedanke war nicht unbedingt beruhigend.
    Entschlossen öffnete Jolin die Haustür und trat auf die Straße hinaus. Im Licht der Straßenlaternen eilte sie zur Straßenbahnhaltestelle. Mit der U-Bahn wäre sie schneller gewesen, aber das erschien ihr zu riskant. Schließlich wollte sie das Schicksal nicht herausfordern, sondern es kontrollieren.
    Die Abendluft war trocken und kalt. Über den dunklen Himmel zogen nur wenige Wolken, die von einem leichten Wind getrieben wurden. Während Jolin mit dem Rücken an der Glaswand des Unterstandes lehnte und auf die Bahn wartete, bemerkte sie über dem Dach eines sechsstöckigen Hauses den abnehmenden Mond.
     
    Klarisse ließ sie nicht ins Haus. Sie war ungeschminkt und trug einen schwarzen Sportdress. Ihre Haare hatte sie zu einem Seitenzopf zusammengebunden.
    »Hier«, sagte sie und hielt Jolin eine ZARA-Tüte entgegen. »Da sind alle Abzüge drin.«
    »Und du bist sicher, dass du selbst kein Foto mehr besitzt?«, fragte Jolin, nachdem sie einen flüchtigen Blick in die Papiertüte geworfen hatte.
    »Vertraust du mir nicht?«
    »Nein.«
    »Siehst du«, sagte Klarisse. »Ich dir auch nicht.«
    Jolin atmete geräuschvoll aus. »Glaubst du, Carina wird wieder

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