Vollmondstrand
völlig. Ich glaub, er redet mit keinem etwas, außer mit seiner Mutter. Stell dir mal vor, der Anja passiert etwas, dabei wollte gerade sie es besonders gut machen!«
›Gut genug ist noch am besten! ‹ Ein Lieblingssatz der Eibel kam ihr dazu in den Sinn. Laut dachte sie weiter: »Dass sich der Hubi nicht mehr engagiert, find ich traurig.«
»Wahrscheinlich ist er kaum da, oder wenn er da ist, ist er auch wieder nicht da.« Marti stand auf und rollte sich zu Rosa aufs Bett.
»Wie ernst hast du das gemeint heute, mit den kleinen Finnen?« Rosa blickte ihm geradewegs in die hellen Augen. Eine interessante Kombination würde das geben. Ihre Augen waren nougatbraun, genauso wie ihre Haare, beide waren sie groß, Martis Augen leuchteten in hellem Taubenblau, fast schon kitschig.
Marti fuhr sich durchs Haar, das tat er, wenn er Zeit zum Nachdenken brauchte. »Das fängt immer so romantisch an, mit den Zwergen. Kennst du eine Familie, wo alle zusammen glücklich sind, auch noch nach 20 Jahren?« Er blickte genauso unvermittelt zurück.
»Da fragst du die Falsche«, antwortete Rosa rasch. »Ich bin kein Magnet für glückliche Familien. Die gehen woanders hin. Eisessen oder Radfahren oder auf den Fußballplatz wahrscheinlich. Oder bauen zusammen ein Haus«, sie deutete in seine Richtung, »und gehen dann zu Ikea, haha.«
»Auweh, nein«, antwortete Marti. »Manche Paare lassen sich schon scheiden, bevor es überhaupt ein Kinderzimmer zu tapezieren gibt.«
»Oder wenn sie einziehen, bumst die Frau den Tennislehrer der Tochter und der Mann das junge Au-pair-Mädchen«, ergänzte Rosa.
»Und trotzdem haben all diese Leute zu Beginn das Gefühl, sie machen es anders. Sonst wären wir wohl schon ausgestorben!«
Genau, Rosa drehte das Licht ab und schmiegte sich in Martis Armbeuge, so war das wohl. Sollte sie heute Nacht von blonden Kindern in bunten Holzhäusern träumen, die getrockneten Stockfisch aßen und froh waren, dass jeder ein eigenes Bett hatte? Gab es so etwas noch, oder hatte sie zu viel ›Michel aus Lönneberga‹ geschaut. Oder war der gar aus Schweden?
Darüber nachdenkend, musste Rosa wohl eingeschlafen sein.
Sie träumte von Anja. Anja war eine winzige Frühgeburt und lag im Brutkasten. Rosa war im Traum die Mutter und kam das Baby jeden Tag besuchen.
Am darauffolgenden Morgen, sie stand gerade am Waschbecken, fiel es Rosa wieder ein: Anja war in der Tat ein Frühchen gewesen. Sie hatte es einmal beiläufig erwähnt.
›Wenn jeder alles wüsste vom anderen, wie leicht wäre es, zu verstehen und zu verzeihen.‹ Der Ausspruch war nicht von ihr, aber er kam ihr in den Sinn, als sie sich die Zähne putzte.
Das war das Interessante an ihrem Beruf: das Zusammensetzen von Einzelteilen zu einem Ganzen. Das Leben selbst als Puzzlespiel zu betrachten. Und sie war noch immer neugierig …
14
Rosa hatte länger geschlafen und Marti war schon weg, als sie aufstand. Eine seltsame Unruhe überkam sie. Für heute hatte sie irgendwie keinen Plan. So schlich sie im Haus herum und hielt es an keinem Platz lang aus. Nicht im Bad, wo sie die Zehennägel lackieren wollte, nicht in der Küche, wo sich partout kein Hungergefühl einstellen wollte, und auch nicht bei den Katzen am Sofa.
Maria würde heute mit Michi zu den Großeltern fahren und Rosa fühlte sich seltsam – allein. Es war Sonntag! Wenn ich jetzt ein Baby zu versorgen hätte … Halt! Sie unterbrach selbst ihren Gedanken. Ein Kind als Beschäftigungstherapie?
In einem Seminar im letzten Jahr hatte die Vortragende erklärt, Kinder kämen meist aus dem einen oder anderen egoistischen Grunde zustande, um sich selbst ein Denkmal zu setzen, einen Partner an sich zu ketten oder eben die eigene Langeweile zu zerstreuen. Das hieß in Elterndeutsch dann so schön ›dem Leben einen Sinn geben‹. Mutterliebe infrage zu stellen war pfui, genauso ein Tabu wie Helfen als Beruf. Sie musste grinsen. Tabus hatten sie immer schon gereizt.
Sie wollte nicht schon von Beginn an alles falsch machen mit dem Kinderkriegen. Wenigstens die Absicht sollte rein sein. Aber, was hieß das?
Sie kuschelte sich aufs Sofa und dachte nach. Zärtlichkeit, ja, das war es. Sie wollte ein Kind, um ihm Zärtlichkeit zu geben. Die Katzen schnurrten und zwinkerten dazu.
»Bist du zu Hause, Rosa? Können Jonas und ich kommen?« Es war Linas Stimme am Telefon, die sie zurückholte aus ihren Träumereien.
»Ja, Kind, immer«, antwortete Rosa erfreut. Lina kam, das tat gut an diesem
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