Vollmondstrand
ansonsten nicht gerade freundlichen Herbsttag. Und sie wollte ihren Freund mitbringen. Rosa spürte eine leichte Nervosität aufsteigen. Sollte sie sich vielleicht umziehen, was hieß, sich etwas Ordentliches anzuziehen? Sie entschied sich dagegen.
»Na dann, bis gleich«, kündigte Lina an.
Es verging keine halbe Stunde, Rosa schlurfte inzwischen im Kuschelanzug durch die Wohnung, fütterte die Katzen Bubba Billian und Bubba Lillian und den Computer mit einer CD von Lorenzo Al Dino, nahm einen Schluck frisch gepressten Orangensaft, als es an der Tür klingelte.
»Hallo, das ist Rosa, ich hab dir von ihr erzählt«, und Lina deutete auf Jonas, »Rosa, das ist Jonas.«
»Hallo, ihr zwei. Freut mich, kommt doch rein.« Es war regnerisch und die beiden kamen nass zur Tür herein. Davor gab Jonas brav die Hand und Lina ein Bussi. Rosa ging voraus ins Wohnzimmer.
»Ich bin gerade beim Frühstücken, wollt ihr auch etwas?«
»Na ja, Hunger hätt’ ich«, antwortete Lina. »Was ist mit dir, Jojo?«
Der schlanke, große Bursche schaute ein wenig verhalten aus seinen langen Haaren. »Mmhh«, legte er sich schließlich fest.
Lina wirbelte um ihn herum, brachte Saft und Kipferl und ließ sich sodann genüsslich aufs Sofa gleiten.
»Wir kommen grad von einer Party, voll nix los. Brunchen ist halt doch was für alte Leute. Ich mein, in unserem Alter, wer macht so was schon.«
Rosa nickte verständnisvoll und hatte damit zu tun, sich nicht an ihrem Kipferl zu verschlucken. »Richtig«, bekräftigte sie, nachdem sie sich wieder gefangen hatte, »wart ihr aus gestern?«
»Wir waren im Hörsturz. Kennst das?«, fragte Lina zurück.
»Nein, nicht wirklich«, antwortete Rosa wahrheitsgemäß.
»Geile Hütte!«, war Jonas’ Wortspende an die Gastgeberin. Die Stimme war tiefer als erwartet. Vielleicht war er doch schon ein Mann? Viel war ja nicht zu erkennen unter seiner dunklen Haarmatte.
Mein Gott, 15, fuhr es ihr durch den Kopf. Da war ich in einen Schotten verliebt. Die Vorliebe für die nordischen Völker war damals schon da, jaja.
Es war am Schüleraustausch gewesen, in Kingston upon Thames.
Ich weiß noch die Straße, die Hausnummer, die Namen der Gasteltern und seinen mit allen Vornamen, die da waren Jonathan Simon Newman Hudson – und heute vergesse ich, wo die Lesebrille vom Vortag liegt! An damals kann ich mich so gut erinnern, dachte sie. Sie konnte sich nicht entscheiden, ob sie das begeistern oder deprimieren sollte. Sie wählte, wie so oft, das Angenehmere von beiden.
Lina und Jojo, der Name passte zu ihm, er war so lang wie das Spielzeug, bevor es sich wieder aufrollte. Rosa zuckte zusammen bei dieser Assoziation, die zwei kuschelten innig auf dem Sofa und Rosa zog es vor, das zu tun, was von einer coolen Alten erwartet wurde, nämlich sich zurückzuziehen.
Marti, wo war ihr nordischer Ritter? Wahrscheinlich joggte er durch die Weingärten, wie immer sonntags. Zu früh auf, zu gut gelaunt, was sollte man da anderes tun, um überschüssige Energie abzubauen?
Rosa beschloss, sich ein Bad einzulassen. Um noch betont fauler zu sein, als man das im Jogger demonstrieren konnte. Sport, ja – aber alles zu seiner Zeit.
Lina war hier, das hatte sie wieder auf Spur gebracht. Ein bisschen war sie auch ihr Kind, oder?
15
»Jana, du musst nächstes Mal auch in die Sauna kommen. Was war denn?«, fragte Rosa, als sie Jana in Verrenkung sitzen sah. Die dunkelhaarige Frau mit untersetzter Figur und satter Bräune saß ihr im Schneidersitz gegenüber. Es war Montagmorgen und Yoga war angesagt. Am Vormittag gelang es Rosa eher, sich eine Stunde frei zu halten. Auch für Jana war die Zeit günstig. Sie betrieb ein Sonnenstudio, der Ansturm dafür ging erst am Nachmittag los.
»Ach, das Übliche. Meine liebe Tochter hatte ein Date und niemanden für die Kinder. Im Prinzip ihre Sache, aber dann fragt sie die Kleinen: ›Wollt ihr heute bei der Oma bleiben?‹ Obwohl sie weiß, dass ich was vorhabe. Echt fies.«
»Das schaffst du dann nicht …?« Rosa nickte wissend.
»Nein, was können die armen Würmer denn dafür, dass ihre Mutter noch so jung ist.«
Jana hatte Verständnis, denn sie hatte selbst sehr früh Kinder bekommen. Sie hatte mit 18 geheiratet und durfte fortan die fünf Mädels der Freundinnenrunde beim Sich-Ausprobieren, beim Ausziehen ins Studentenheim oder Beziehen der ersten eigenen Bude beobachten. Sie hatte deren Männer kommen (»Muss ich mir den merken?«) und wieder gehen (»Ich hab’s gleich
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