Vollmondstrand
ihrer Stimme. Rosa spürte die drei Gläser Wein, die sie in kurzer Zeit getrunken hatte. Deshalb war sie auch zu Fuß gegangen. Noch ging das ja!
Dramatisch wurde sie zumeist nur alkoholbedingt. Marti hatte nach zwei Stunden am Computer noch einen klaren Kopf und antwortete: » Ich weiß!«
»Das sagst du jetzt so …« Sie legte eine schöpferische Pause ein. »Bei uns gibt’s ja keine Klausel ›In guten wie in schlechten Zeiten‹ …«
»Weil du sie nicht wolltest!«, kam die prompte Antwort. »Ich habe dich einmal gefragt, in Rom in der Villa Borghese, und du hast gesagt, du brauchst das nicht.«
»Ja, aber … das ist fünf Jahre her«, versuchte Rosa zu erklären.
»Macht das einen Unterschied?« Marti hatte sich selten so nüchtern wie in diesem Augenblick gefühlt.
Rosa dachte nach. Sie wusste es nicht. Veränderte sich da etwa auch etwas? »›I got a right to be wrong‹, spiel’s mir, bitte!«, wechselte sie das Thema, und auch wieder nicht. »Oder hast du heute schon geübt?«
»Jetzt noch?«, fragte Marti lahm.
»Die Nummer passt doch ganz gut! Findest du nicht?« Sie zog Marti zu sich und drückte seinen Kopf an ihren Hals.
»Lass mich mal schauen«, sprach er, sich aus der engen Umklammerung windend.
Wo war nur der Koffer mit dem Saxophon?
Rosa musste an die letzte Hochzeit und ihre Reise nach München denken. Onkel Janosch hatte zu seinem 70-er, zum Firmenjubiläum und zur anschließenden Hochzeit geladen. Alles in einem, denn Onkel Janosch war Ökonom.
Marti und sie waren in der ersten Pension nach der Autobahnabfahrt abgestiegen. Diese hatte sich als idyllisch gelegen entpuppt, dabei war ihnen beim Buchen nur die Nähe zu Schloss Blutenburg wichtig gewesen. An diesem Juniwochenende kam Rosa die Stadt wie ein einziger großer Park vor. Der Feiermarathon endete mit einer Zeremonie im Schloss, die Braut trug ein schwarzes Flamencokleid und Onkel Janosch einen Ausdruck im Gesicht von ›Jetzt aber!‹. Rosa gönnte den beiden ihr Glück. Sie konnte sich eventuell auch vorstellen, mit Marti in 30 Jahren in der Blutenburg-Schenke zu sitzen und sich gegenseitig ›Obatzten‹ aufs Brot zu schmieren.
Marti würde wieder lieber ins Brenner gehen. Einen Vorteil hatte dieses Lokal (neben den Gewölben der ehemaligen Pferdestallungen natürlich). Rosa hatte gehört, es wäre München pur. Das traf sich gut, denn die Zeit war knapp. So waren sie anderntags in die Maximilianstraße getrabt und hatten Gegrilltes bestellt. Die Weinkarte wies pfeffrige Grüne Veltliner auf und Rosa hatte sich auf der Stelle wohlgefühlt. München und ab und an die entfernte Verwandtschaft zu besuchen, das hatte schon was, fand sie.
Weg von daheim und doch in der Nähe, rein in die Großstadt und doch irgendwie am Land. München konnte etwas, wie Marti es formulierte. Er war nach dem Essen zum Eisbach geschlendert, um die Wellenreiter bei ihrem Tun zu beobachten, während Rosa den Nachmittag im Brandhorst mit Warhol, Hirst und Twombly verbrachte. In München hatte die einzige Hochzeit, die Rosa in zehn Jahren besucht hatte, stattgefunden. Wer, außer Onkel Janosch, heiratete denn heute noch?
39
»Dreh ich jetzt völlig durch?« Rosa stand vorm Spiegel und putzte sich die Zähne, wie an jedem Tag. Nur, irgendetwas war heute anders.
»Wir fassen zusammen«, hörte sie sich sagen, während sie den Schaum beobachtete, wie er langsam aus ihrem Mund tropfte. »Ich will nicht mehr so wie bisher, vielleicht ein Kind, vielleicht auswandern oder vielleicht heiraten … Na, wenigstens steht keine Geschlechtsumwandlung zur inneren Debatte!« Erleichtert stieg sie in die Dusche.
»Oidaoidaoida!«, würde Neffe Alfi in diesem Fall sagen. Er war so ruhig am Sonntag, aber das brachte wohl das Alter mit sich: 16 ist kein Honiglecken für einen Burschen! Für ein Mädel ging es da schon wieder.
Aber, weiß ich, wie es sich heute verhält? Meine Erfahrung stammt aus dem vorigen Jahrtausend! Rosa trocknete sich ab.
Sie beschloss, auf ihren Neffen zuzugehen.
»Alfi, mei Bua! Wir haben uns gar nicht unterhalten können bei der Oma. Magst nicht mit mir essen gehen oder auf einen Kaffee?«
Die Mailbox musste herhalten, es war schließlich Unterricht. Keine fünf Minuten später läutete auch schon das Telefon.
»Hallo, Rosa, klar, gern! Wann hast du Zeit?«, klang es aus der Leitung.
»Ich kann’s mir leichter einteilen. Hast du keine Schule?«, antwortete sie.
»Als ich gesehen habe, dass du anrufst, bin ich schnell aufs Klo.
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