Vollstreckung - Sturm, A: Vollstreckung
saß an einem Schreibtisch und las. Bücher erschienen ihm in dieser Wohnung so deplatziert wie Reizwäsche in einem Nonnenkloster. Und im Zimmer der Tochter gab es mehrere davon. Jan las auf den Bücherrücken Namen wie Verne, Twain und Kipling.
»Was wollen Sie denn hier?« herrschte ihn das lesebesessene Mädchen an.
»Entschuldige bitte die Störung, aber ich habe ein paar Fragen.« Jan versuchte mit Freundlichkeit die Mauer, die das Mädchen umgab, zu überwinden. Offenbar hatte er Erfolg, denn sie lenkte ein: »Wenn meine Mutter wieder etwas ausgefressen hat, geht mich das nichts an«, sagte sie, schon wesentlich weniger aggressiv.
»Es handelt sich nicht um deine Mutter. Der Polizist, der gestern Abend hier war, wie hieß der?«
»Keine Ahnung, er hat mir seinen Ausweis nicht gezeigt.«
»Und da hast du ihn einfach hereingelassen?«
»Zu uns kommt öfter die Polizei. Wegen Mutter. Sie klaut. Die meisten zeigen ihren Ausweis, manche nicht.«
»Kannst du ihn beschreiben?«
»Nein, ich habe ihn mir nicht so genau angesehen.«
»Du musst doch wissen, ob er groß oder klein, dick oder dünn, alt oder jung war?«
»Ich habe mich einfach nicht für ihn interessiert. Okay? Es war mir scheißegal wie der Typ ausgesehen hat.«
Jan dachte daran, wie er von ihr empfangen wurde, und glaubte ihr. Er startete noch einen letzten Versuch, ohne mit einem Erfolg zu rechnen. »Kanntest du Sarah Lefort, eure Nachbarin?«
Auf einmal trat Glanz in die Augen des Mädchens: »Klar kannte ich Sarah. Sarah war immer nett zu mir. Sie hat mir viele Bücher gegeben und sich um mich gekümmert, wenn Mutter zu besoffen war. Als sie sich umgebracht hat, habe ich tagelang geheult.«
Jan zeigte ihr das Phantombild. »Kennst du auch diese Frau?«
»Ja, sie ist einmal bei Sarah aufgekreuzt, aber ich habe sie nur kurz gesehen. Sie schien okay zu sein.«
»Hast du mit ihr gesprochen?«
»Nein, sie hat nur gelächelt. Kam mir etwas komisch vor. Meist sagen die Leute ja was, ›Hallo‹, oder so.«
»Hat Sarah dir ihren Namen genannt?«
»Nein, ich weiß nur, dass Sarah sie sehr mochte.«
Jan hatte auf einmal noch eine Idee. »Hatte Sarah einen Freund?«
Das Mädchen schüttelte Kopf, dann dachte sie nach. »Gesehen habe ich keinen. Sarah hat auch nie etwas von einem Freund erzählt, aber sie machte schon einen verliebten Eindruck, manchmal. Irgendwie spürt man so etwas, wissen Sie, was ich meine?«
»Nein, nicht so richtig. Hatte Sarah sich verändert?«
»Ja …«, sie überlegte kurz und zupfte dabei an einem Nasenring. »Ungefähr ein Jahr bevor sie von irgendwelchen Schweinen vergewaltigt wurde, begann Sarah mit einem Dauergrinsen im Gesicht herumzulaufen. Sie wirkte so glücklich und als ich sie darauf ansprach, lächelte sie geheimnisvoll und sagte: »C’est l’amour«.
Ich habe mir diesen Spruch gleich aufgeschrieben und später gegoogelt, er bedeutet, das ist die Liebe. Können Sie französisch? «
»Nein, wie alt bist du eigentlich?«, fragte Jan und stellte fest, dass das Mädchen recht pfiffig war.
»Dreizehn. Wozu müssen Sie das wissen?«
»Nur so, reine Neugier.«
Im Gehen sagte Jan seinen Standardsatz: »Danke, du hast mir sehr geholfen. Wenn dir noch irgendetwas einfällt, vor allem zu dem Mann, der gestern da war oder zu Sarah und ihrer Bekannten, rufe mich bitte an.« Jan reichte ihr seine Visitenkarte und wollte gerade gehen, da drehte er sich noch einmal um und sagte: »Sollte der Mann von gestern noch einmal vorbeikommen, lass ihn nicht herein und rufe sofort die Polizei.«
Jans Worte lösten großes Interesse bei dem Mädchen aus: »Ist der gefährlich?«
Jan zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht«, sagte er wahrheitsgemäß. »Aber besser ist besser.«
Nach ihrem Besuch in der Dienststelle von Polizeiobermeister Unger fuhr Sandra zurück zur Polizeidirektion und brütete weiter über den Akten zum Fall Sarah Lefort. Sie war so vertieft in ihre Tätigkeit, dass sie erschrocken hochfuhr, als Jan auf einmal vor ihr stand.
»Entschuldige«, sagte er. »Ich wollte dich nicht erschrecken. Ich habe geklopft, aber niemand hat geantwortet. Aber das bin ich heute schon gewohnt. Ich hatte gehofft, Karin wäre hier. Ich habe sie zu Hause angerufen, aber sie geht nicht ran.«
»Sie müsste eigentlich wieder daheim sein. Sie wollte nur zu dem Psychofritzen, das Profil der Mörderin besprechen.
Ich kann ihr aber etwas ausrichten, ich fahre dann noch bei ihr vorbei.«
Jan machte es sich in Karins
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