Vollstreckung - Sturm, A: Vollstreckung
feststellen, dass Sie es mit einem liebevollen Menschen zu tun haben.«
»Warum aber begeht die Täterin all diese Morde?«, hakte Karin nach.
»Genau wie in der gestrigen Sitzung bereits festgestellt wurde, kann der Auslöser für diese Taten die Vergewaltigung und der daraus resultierende Suizid der Sarah Lefort sein. Die Täterin stand auf jeden Fall in einer sehr innigen Beziehung zu der Toten. Suchen Sie den Menschen, der durch den Tod von Sarah Lefort sein Lebensglück eingebüßt hat, und Sie werden mit großer Wahrscheinlichkeit die Mörderin finden.«
»Wenn das so einfach wäre«, seufzte Karin. »Aber wie erklären Sie den Umstand, dass eine so nette Person rein gefühlsmäßig in der Lage ist, einen Menschen zu foltern und ihm solche Höllenqualen zuzufügen?«
»Dieses Problem war tatsächlich eine harte Nuss. Nach reiflicher Überlegung kam ich zu dem Schluss, dass die Täterin sich für diese Handlung abgestumpft hat. Ich bin von ihrem Vorgehen während des Verbrechens ausgegangen und vermute, dass sie entsprechende Psychopharmaka genommen hat.«
Karin nickte und sagte zustimmend: »Das leuchtet mir ein. Aber trotzdem Sie den Charakter der Mörderin so positiv darstellten, steht nun vor mir die Aufgabe, diese Frau so schnell wie möglich zu fassen, bevor sie weiter tötet.«
»Einen kleinen Trost habe ich diesbezüglich für Sie«, sagte Dr. von Falkenstein. »Wenn die Täterin, die nach ihrer Meinung Schuldigen bestraft hat, wird sie aufhören.«
»Sie meinen, aufhören zu töten?«
»Ja. Ich denke nicht, dass die Frau psychisch krank ist. Wenn sie ihre Aufgabe erfüllt hat, wird sie einfach zur Normalität übergehen und wieder ein normales Leben führen. Die Gesellschaft hat von ihr nichts zu befürchten, abgesehen natürlich von den möglichen Vergewaltigern der Frau Lefort.«
»Das ist, wie Sie es bereits formulierten, ein kleiner Trost. Aber wirklich nur ein ganz kleiner«, sagte Karin müde lächelnd.
Der Doktor erhob sich und reichte Karin eine Mappe mit den Worten: »Hier habe ich all das, was ich Ihnen jetzt dargelegt habe, noch einmal in Schriftform für Sie. Ich hoffe, dass ich Sie bei ihren Ermittlungen unterstützen konnte.«
Karin erhob sich ebenfalls und dankte Dr. von Falkenstein überschwänglich für seine Hilfe. Sie wollte ihren kleinen Ausrutscher, den der Doktor in die falsche Kehle bekommen hatte, ungeschehen machen.
10. Kapitel
Viel lieber hätte Jan Klingenberg seinen Sonnabend zusammen mit Claudia verbracht, aber am Wochenende erhöhte sich die Möglichkeit, Mieter in ihren Wohnungen anzutreffen.
Er hatte sich am Vormittag bereits bei einem Mitarbeiter der Hausverwaltung unbeliebt gemacht. Er verdarb dem Mann seinen Vormittag, weil er ihn zwang, das Mieterverzeichnis des Hauses, in dem Sarah Lefort gewohnt hatte, herauszusuchen und ihm zu übergeben. Jan hatte Glück. Sarah Lefort hatte einen Altbau mit nur vier Wohnungen bewohnt. In einem mehrstöckigen Haus hätte sich der Aufwand vervielfacht. In den drei Jahren, die seit Sarahs Tod vergangen waren, war eine Wohnung durch einen Todesfall neu belegt geworden. Blieben also nur zwei Mieter, die befragt werden mussten. Unter Sarahs Wohnung lebte eine alte Frau, die schwerhörig war. Ihr Lebensinhalt bestand in einem Pudel, der, so vermutete Jan, ebenso schwerhörig wie seine Besitzerin sein musste. Das bedauernswerte Tier musste sich den gesamten Tag über anschreien lassen. Über Sarah Lefort wusste die fast stocktaube Dame absolut nichts.
Als Jan vor der Nachbarwohnung stand, dröhnte ein Musikgemisch durch die geschlossene Tür an seine Ohren. Er musste Sturm klingeln, bis endlich geöffnet wurde. Als die Tür aufging, wurde der Lärm noch ohrenbetäubender. Aber nicht nur Krach, auch ein Schwall von Zigarettenrauch kam aus der Wohnung. Vor Jan stand ein dickliches Mädchen von höchstens vierzehn Jahren. Sie hatte ihre Haare schwarz gefärbt, so dunkel, dass es an den Stellen, wo das Licht auf ihr Haupt fiel, blau schimmerte. Sie trug ein kurzes, bauchfreies Shirt und enge Leggins. Jan zeigte ihr seinen Dienstausweis und fragte nach ihren Eltern. Das Mädchen, dessen Gesicht mit zahlreichen Piercings versehen war, starrte Jan ohne die geringste Regung an. Sie zeigte weder Interesse noch Abscheu. Als sie ihre Zigarette aus dem Mund nahm, erwartete Jan, dass sie das Wort an ihn richten würde, aber sie stippte nur die Asche auf den Fußboden. Dann drehte sie sich, immer noch wortlos, um und ging in den Flur
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