Vom Alptraum verfolgt
Wirklichkeit geschehen war. Wer hat denn je schon von einem Verrückten
gehört, der sich bereitwillig in einem Beerdigungsinstitut in einen Sarg gelegt
hat, um sich erschießen zu lassen? Sie doch wohl nicht. Oder? Oder haben
Sie schon mal davon gehört ?«
Ein Schimmer dieser alten
Arroganz tauchte in ihren Augen auf. »Was Sie nicht sagen! Ich habe von
Polizeibeamten gehört, die wütend werden, wenn man ihre Fragen nicht
beantwortet, aber Sie sind der erste, den ich kennengelernt habe, der auch noch
erwartet, daß man ihm abnimmt, seine Fragen zu stellen. Soll ich vielleicht
Ihre Arbeit für Sie tun? Woher soll ich wissen, ob er dort oder woanders umgebracht
worden ist — oder daran zweifeln, daß er dort ermordet wurde, wenn Sie das
sagen? Sie wollen doch nicht etwa andeuten, daß ich ihn umgebracht haben könnte ?«
»Diese Möglichkeit besteht
allemal, Süße«, versicherte ich ihr. »Warum denn nicht — wenn er im Ausstellungsraum
umgebracht wurde! Sie hatten die allerbeste Gelegenheit, nachdem Sie sich mit
ihm allein in einem Beerdigungsinstitut befanden .«
»Sie sind einfach dumm! Was um
alles auf der Welt sollte ich für einen Grund gehabt haben, Bob umzubringen ?«
»Das weiß ich nicht«, gab ich
zu. »Aber vielleicht finde ich das noch heraus .«
»Wenn ich ihn umgebracht hätte,
glauben Sie dann vielleicht, ich hätte so ohne weiteres wieder in den Sarg
zurückklettern und mich schlafen legen können ?« Sie
begann bei diesem ungeheuerlichen Gedanken förmlich zu würgen. »Wofür halten
Sie mich eigentlich ?«
»Für sexy«, sagte ich
wahrheitsgemäß. »Vor allem in einem schwarzen Leichenhemd. Außerdem für
schlecht gelaunt, was ein Jammer ist, denn dadurch bekommen Sie Krähenfüße
unter den Augen, noch bevor Sie dreißig sind, wenn Sie nicht aufpassen .«
»Sie! Ich könnte...« Sie drehte
mir in hilfloser Wut den Rücken zu.
Ich beendete die Durchsuchung
der zweiten Schublade und machte mich an die dritte.
»Mit wem war er befreundet ?« fragte ich.
»Wir alle waren seine Freunde«,
sagte sie heftig, mir noch immer in starrer Ablehnung den Rücken zuwendend.
Daddy, Kaye, Doktor Altman, Louis — «
»Ich meine außerhalb des
Hauses«, sagte ich kurz. »Hatte er eine Freundin ?«
»Bob?« Sie lachte ungläubig.
»Er war mit der Medizin verheiratet und in die medizinische Forschung vernarrt.
Ich glaube nicht, daß er in den sechs Monaten seines Hierseins auch nur ein
Mädchen angesehen hat .«
»Nicht einmal Sie?«
»Nicht einmal mich«, sagte sie
barsch. »Ich will zugeben, daß das mein Ego nicht sonderlich gefördert hat .«
Sie drehte langsam den Kopf.
»Er ging kaum aus. Er hielt sich durch Spaziergänge im Garten in Form. Ich
zweifle, daß er während der sechs Monate hier auch nur zweimal in Pine City war. Warum glauben Sie mir nicht? Bob Marsh
war...«
»Ich weiß«, sagte ich
erschöpft, »ein vielbeschäftigter Mann. Hat er je von seiner Familie oder
seinen Bekannten im Osten erzählt ?«
»Er hat ein paarmal seine
Eltern erwähnt und einen Onkel, der ihm durch das Medizinstudium half — an mehr
kann ich mich nicht erinnern .«
»Und er ist mit allen hier gut
ausgekommen ?«
»Ich habe Ihnen doch gesagt...«
Sie wandte sich mir wieder zu, und ihr Mund bildete eine gerade Linie. »Hören
Sie, er ist tot! Warum sind Sie so wild entschlossen, ihn nachträglich
schlechtzumachen, noch bevor er begraben ist ?«
»Ich suche nach einem Motiv für
seine Ermordung«, sagte ich heiser. »So, wie Sie alles darstellen, kann es gar
keins geben .«
»Es gibt auch keins .« Es klang wie eine endgültige Feststellung. »Wenn Sie
wissen wollen, was ich glaube — er wurde irrtümlicherweise an Stelle eines
anderen umgebracht .«
»Anstelle wessen zum Beispiel?«
»Woher soll ich das wissen ?« schnaubte sie verächtlich. »Sie sind doch angeblich
Kriminalbeamter. Finden Sie es selber heraus .«
Ich war mit der letzten
Schublade fertig geworden und hatte ebensowenig gefunden wie bei den anderen. Vicki Landau folgte mir zum Kleiderschrank und
blieb mit übereinandergeschlagenen Armen stehen, während sie zusah, wie ich die
Taschen der Kleider, die darin hingen, durchsuchte.
»Glauben Sie vielleicht, ich
stehle etwas ?« brummte ich über meine Schulter weg.
»Es fasziniert mich nur, einen
echten Kriminalbeamten bei seiner Arbeit zu beobachten«, sagte sie spöttisch.
»Bis jetzt haben Sie noch nicht einmal Ihr Vergrößerungsglas benutzt .«
»Das hebe ich mir für
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