Vom Aussteigen und Ankommen
Kühlschrank bedienen, und sie initiierte ein Tauschnetzwerk, ein Geben und Nehmen auf Stundenbasis ähnlich wie in der Uckermark. Sie konnte sich keinen Arztbesuch mehr leisten, betete vermehrt, und plötzlich passierten Wunder. Ihr Buch ist die Autobiografie einer einfachen Frau, die deswegen etwas zu erzählen hat, weil sie ein Leben lang an ihrer Naivität festgehalten hat und sich von Engeln leiten ließ. Sie schreibt kluge Sätze:
Es geht nicht darum, arm oder reich zu sein, unglücklich oder glücklich, sondern es geht darum, Zusammenhänge zu schaffen, in denen die Einzelnen sinnvoll und wahrhaftig leben können, zwischen Geben und Nehmen, Aktivität und Passivität, Schaffen und Ruhen, Handeln und Besinnen. (…) Die Wirtschaft kennt nur das Entweder-Oder, das krank macht, einengt, Abhängigkeiten schafft.
Aussteigen war oft der Versuch, eine Antithese zu dieser Welt zu formulieren.
Pawel Jósef fand in New York Arbeit in der Kuchenfabrik Juniors Cheesecake. Dort arbeiteten viele Polen, die meisten, wie auch er selbst, illegal. Er fühlte sich in der polnischen Gemeinde zunächst wohl. Er lebte hier besser als in Danzig.
Pawels Arbeitskollegen tranken nach Feierabend viel Bier und gingen anschließend in immer dieselbe Tabledance-Bar. Irgendwann störte ihn die Monotonie. Ebenso wie seine Erfahrungen in der Fabrik. Die Inhaber der Kuchenfabrik behandelten die Gastarbeiter gelegentlich jähzornig, Pawlik empfand es so, als luden sie ihre eigene Unzufriedenheit auf die Arbeiter ab. Er machte Verbesserungsvorschläge, doch sie wurden nie um gesetzt. Alles blieb, wie es war, und es gab sogar mehr und mehr Druck für die Arbeiter, obwohl die Firma, wie Pavlik glaubte, viel Geld verdiente.
Er kündigte und zog nach San Francisco, in die Stadt des heiligen Franziskus, weil sein Herz in dieser Zeit an elektronischer Goa-Musik hing und ihm die Musikszene der Westküste mehr zusagte.
Den letzten bezahlten Job seines Lebens – als Programmierer – hatte er im Sommer vor drei Jahren gekündigt. Pawel musste einen Internet-Fragebogen für Kunden eines Touristikunternehmens programmieren, der dem Nutzer nach Beantwortung eine Empfehlung ausgab, welche Reise für ihn die richtige sei. In Wahrheit war das Ergebnis aber rein zufällig. Es hatte nichts mit den Antworten zu tun. Das war Betrug. Pawel sagte seinen Chefs, er wolle das nicht machen, sondern wolle etwas tun, was den Menschen nutzte und nicht der Firma. Nach vier Monaten wurde er entlassen.
Dann lebte er vom Ersparten, genoss das Leben auf Goa-Partys und schaute sich im Internet Videos über psychedelische Drogen an. Er zog auf eine illegale Cannabisplantage an der Westküste, half bei der Ernte und zeltete auf der Plantage, mitten im Winter. Pawel nahm dafür kein Geld, durfte aber so viel Cannabis rauchen, wie er wollte, bekam den Zeltstellplatz umsonst und die Mahlzeiten. Er fror, fühlte sich jedoch frei wie eine Seemöwe.
Im März, als die Luft milder wurde, zog er an den Strand von San Francisco. Auf der Geburtstagsfeier des von der Szene hochverehrten Musikers Goa Gil erfuhr Pawel einen vierundzwanzig Stunden andauernden LSD-Trip. Er nahm in dieser Zeit auch an sogenannten Tipi-Zeremonien im indianischen Ritus teil, nahm magische Pilze zu sich, und nun begann Pawel, der vorher ein Rationalist gewesen war, wie ein Indianer oder wie Heidemarie Schwermer zu beten: dafür, dass ihm Ideen kommen, wie er seine Intelligenz für eine große Sache einsetzen könne, die der Menschheit nützlich sei, und nicht nur für einen Cannabisbauern oder neureiche New-Economy-Arschlöcher.
Irgendetwas stank am Geld, darauf verdichteten sich seine Gedanken. Pawel selbst verzichtete konsequenterweise fortan darauf. Keine andere Spezies nutzte Geld, dachte er, das könne also nicht natürlich sein. Das Geld war ungesund, etwas Zerstörerisches, eine Ursache der Betrügereien, des Stehlens, des Raubs, der Gier, der Entfremdung. Der Elf Pavlik lebte fortan auf der Straße in San Francisco, in einem Park, der so groß war wie der Englische Garten in München. Selbst in den Obdachlosenheimen, in denen er nun aß, machten die Wohltäter die Arbeit nicht aus Liebe zu den Armen. Es gingen unter den Wohnungslosen Gerüchte um, dass die Vorstände der Hilfswerke achtzigtausend Dollar im Jahr verdienen, die gute Sache war wohl auch den Diplompädagogen nur ein Vorwand, um sich Jobs zu verschaffen.
Pawel erkannte es als einen Systemfehler, dass all die professionellen Helfer einen
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