Vom Aussteigen und Ankommen
kosten frei ins Internet. Man brauche aber einen Wohnsitz in Deutschland. Also füllte ich den Antrag für Pavlik aus, letztlich aber scheiterte unser Versuch daran, dass auch ich mich nicht ausweisen konnte. Wieder hatte die deutsche Bürokratie große Träume zunichte gemacht. Pawlik blieb gut gelaunt, obwohl München seine Rolle zuverlässig spielte und uns das Leben schwermachte.
»Heute Abend müssen wir noch im Hellen einen Platz fürs Zelt finden. Und wir waschen uns in der Isar«, frohlockte Pavlik. Die Luft hatte siebzehn Grad, und die Isar führte Hochwasser, reißend und trüb.
Wir finden Puffreis im Müll
Wir gingen durch die Maxvorstadt in Richtung Norden, vorbei an einem Vinzenzmurr-Fleischer, in dessen Schaufenster Schweinehaxen für sich warben, und an einem Dönerladen, in dessen Schaufenster der Fleischkegel tanzte wie Hühnerbeine im Schlaraffenland. Auch die Speisegaststätte »Pommes XXL« und ein Würstelstand schienen mir reizvolle Angebote zu machen. Pavlik sah das anders: »Alles ungesunde, billige Zutaten. Wenn Leute für sich selbst kochen, nehmen sie die besten Zutaten. Wenn sie Geld dafür haben wollen, nehmen sie die schlechtesten.«
Im Bioladen »Mutter Erde« schenkte uns der Chef auf Nachfrage drei Dinkelbrötchen, und obwohl er mit seinem Palästinensertuch und Vollbart so aussah wie ein Sozialkämpfer, interessierte auch er sich nicht näher für Pavliks Geldtheorie.
Drei Kilometer weiter nördlich an der Leopoldstraße fanden wir zwar immer noch keinen Netto, aber dafür einen großen Lidl-Markt, auf dessen Parkplatz fünf Tonnen standen. Sie waren offen. Nebenan war eine Shell-Tankstelle, der Elf nahm sich dort mehrere Plastikhandschuhe aus einer Box neben dem Papierspender. Pavlik zog sich die Handschuhe über und begann die Tonnen zu durchwühlen. Er lehnte sich weit hinein und balancierte gekonnt seinen Körper, der mit dem Bauch auf der Tonnenwand auflag. Im ersten Container lagen Obst, Gemüse und Verpackungen. Die Konsistenz der meisten Nahrungsmittel war eher flüssig als fest, Brokkoli und Tomaten waren zu hochinteressanten Gärsäften gereift. Es roch wie auf einer Müllhalde, der Abfall schwamm in einer bräunlich grünen Suppe, Schimmelpilz schien sich mit dieser Melange angefreundet zu haben.
Der Elf fischte unerschrocken in der Ursuppe und fing zwei anständige Honigmelonen, eine gelbe und eine grüne. Sie trugen Spuren von Schimmelsoße an ihren Außenhäuten. Aber innen könnten sie noch gut sein, sagte Pavlik.
Die zweite Tonne war eine Enttäuschung, darin lagen nur Styroporverpackungen. Die dritte Tonne war mit einem Bügelschloss versperrt. In der vierten lagen ganz oben sechs Packungen von einem Kindersnack, Puffreis in Milchschokolade, sie waren doppelt verpackt, die eigentliche Packung gelb und jeder einzelne Puffreis-Schoko-Riegel in hellblauen Tüten: »Kid Crunchy«. Sie waren noch haltbar, aber merkwürdigerweise rochen sie, obwohl sie verpackt waren, deutlich nach Puffreissnacks. Wir packten den fetten Fang in unsere Beutel: einen Camembert, duftenden Schokopuffreis bis ans Ende aller Tage, Golden Toast, haltbar bis morgen, fünf Bananen, die oben halboffen waren, ein schönes Bund Karotten.
Wir gingen weiter in Richtung Norden, dorthin, wo der Elf seinen Rucksack versteckt hatte. Das Abendessen war gesichert, nun mussten wir einen Schlafplatz finden. Lastwagen und andere Autos rasten auf sechsspurigem Asphalt an uns vorbei. Wir machten ein Erinnerungsfoto mit dem Selbstauslöser: der lachende Elf und das lachende Ich, in den Händen zwei Leinenbeutel und eine Ikea-Papiertragetasche mit dem Müllfund, hinter uns Beton, Autos und der graue Himmel. Neulich, erzählte der Elf, habe er einen Albtraum gehabt: Er habe geträumt, dass er Geld benutze.
Als wir nicht mehr weit vom Englischen Garten entfernt waren, kamen wir an einem Friedhof vorbei. Der Nordfriedhof lag zwischen dem Englischen Garten und unserem Highway, also durchquerten wir ihn. Die Gräber veranlassten Pavlik zu der Bemerkung, er würde nach seinem Tod gern als Kompost fungieren, man solle ihn einfach in der Erde vergraben, ohne Sarg und Grabstein, und Erdbeeren auf ihm pflanzen. So wäre die in ihm gespeicherte Energie wenigstens noch für etwas nützlich.
Wir erreichten ein Wasserbassin. Es war aus einem Stein wie Marmor und hatte Ähnlichkeit mit einem Swimmingpool. Das klare Wasser war zum Füllen der Gießkannen für die Gräber gedacht. Am Rand des Bassins war ein Wasserhahn
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