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Vom Aussteigen und Ankommen

Titel: Vom Aussteigen und Ankommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Grossarth
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erreichten die Mensa und versuchten unser Glück, doch der Fluss führte keinen Fisch. Alle Schälchen und Teller waren leer. Aus der Küche schaute eine Spülfachkraft wachsam auf uns. Dann schwamm doch eine mickrige Plötze vorbei: Ich griff sie mir: eine Kidneybohne aus einer Essigsoße. Ich aß sie bei lebendigem Leibe und trank die Essigsoße in einem Zug. Das war dem Elfen zu blöd, er ließ weitere Salatsoßen vorbeifahren, aber grinste verschwörerisch, so als gehöre ich jetzt dazu.
    Ich fühlte mich wie ein magerer Straßenhund in einem spanischen Touristenort, der um die Tische der Restaurants schleicht und auf das Mitgefühl fettleibiger Deutscher hofft. Schließlich klaute ich noch einen marinierten Champignon vom Salatbüfett, wir nahmen uns Traubenzuckerplättchen, die am Ausgang kostenlos auslagen. Pavlik sagte, als wir durch die Aula der Mensa zurück nach draußen gingen, er sei erstaunt darüber, dass auch die Studenten so brav seien in München. Wir müssten ein paar »Troublemakers« finden, sagte er wiederholt. Pavlik war ein gutmütiger Anarchist.
    Die Geldwirtschaft schien Pavlik nicht viel besser als die Sklaverei. Die Sklaverei, sagte er, bedeute, dass der Eselbesitzer seinen Esel schlage, den er vor die Kutsche gespannt habe. In der Geldwirtschaft halte man dem gefesselten Esel die Karotte vor die Schnauze. Der Elf wollte eine Welt, in der alle Esel freiwillig liefen. Ich dachte an das Ökodorf Sieben Linden und an Silke, deren Pferde ja auch freiwillig liefen und zu der wir Hilfsarbeiter auch freiwillig gelaufen waren.
    »Was war dein erster Job?«, fragte er mich.
    »Als Schüler war ich Fahrradkurier bei einem Buchladen, Jonscher, zweimal die Woche.«
    »Hättest du das ohne Geld gemacht?«
    »Nein, natürlich nicht. Es hat manchmal auch Spaß gemacht, aber oft hatte ich auch keine Lust, es hat geregnet und geschneit, und ich musste immer fahren. Nein, ohne Geld hätte ich das nicht gemacht.«
    »War es denn sinnvoll?«
    »Kann ich nicht beurteilen, die Lieferungen waren meist Zeitschriften für Ärzte oder Anwälte, ich habe nie reingeguckt. Also sagen wir ›Arzt-Zeitschriften‹ … Das finde ich weder sinnvoll noch sinnlos, für die Ärzte wird es Sinn gemacht haben, zumindest für die Verlage, ich bewerte das nicht, ich finde es neutral.«
    »Ich hätte mir eine Liste geben lassen mit allen Bestellungen und klar gesagt, was ich liefere und was nicht. Zum Beispiel: Ich liefere gern die Zeitschriften für Anwälte, aber keine Porno-DVDs.«
    Die Zeitverluste in einer solchen Welt der totalen Konsequenz wären enorm. So wie gestern: zehn Stunden Laufen für einen Tee und ein schimmliges Abendessen.
    Auf dem Studentenkongress in Bochum, von dem Pavlik angereist war, hatte er über die Zukunft der Universität in einer Welt ohne Geld referiert, was ja auch eine Welt ohne Studiengebühren sein musste, weshalb die Organisatoren des Asta Pavlik in ihr Programm aufgenommen hatten. Doch bei seinem Vortrag fragte er zur Überraschung der Studenten in die Runde: »Wer von euch hat denn schon mal die Klos geputzt in der Uni? Und wer den Flur gewischt?« Es sei still gewesen, niemand habe sich gemeldet.
    In Amerika hatte sich Pawel angewöhnt, keine Formen mehr von to be zu verwenden. Er hielt es für falsch, dadurch Identitäten zu schaffen. Er hätte nie gesagt: »Ich bin ein Elf.« Er sagte: »Ich betrachte mich als einen Elfen.« Niemand »sei« ein Journalist. Sondern arbeite vielleicht als Journalist, aber sei auch Fußballspieler, Gitarrist, Koch, Pilzesucher oder Familienvater. Immer dann, wenn ich einen Satz mit einer Form von »sein« sagte, verbesserte mich Pavlik sofort.
    Erich Mühsam hatte einen der Aussteiger von Ascona so beschrieben, als habe er den Elfen Pavlik gemeint: »Sein Ideenkreis war ein sehr begrenzter, aber innerhalb seiner Begrenztheit doch ein sehr tiefer.«
    Tags darauf wollte Pavlik gern Studenten von der Welt ohne Geld erzählen. Wir gingen, um einen Ansprechpartner zur Verwirklichung dieser Idee zu finden, ins Asta-Gebäude und klopften an die Büros der Studentenvertreter. Eine Studentin öffnete uns. Pavlik erörterte ihr seine Philosophie.
    »Ich nenne mich einen Elfen«, sagte er, und sie schaute verständnisvoll. Und da morgen der Tag des weltweiten Studentenprotestes sei, wie sie ja sicher wisse, wolle er einen Vortrag anbieten. Die Studentin wusste nichts von diesem Weltprotesttag. Sie gab sich interessiert, ging an ihren Rechner und trug Pavliks Ansinnen

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