Vom Aussteigen und Ankommen
was hab ich noch nie in Anspruch genommen, man soll ja besser arbeiten gehen. Arbeitet ihr?«
»Nein, wir leben ohne Geld. Wir lehnen es ab, an der finanzwirtschaftlichen Ökonomie zu partizipieren«, sagte Pavlik. Die Frau blickte fragend.
Obwohl wir alle drei irgendwie Obdachlose waren, verstanden wir einander nicht, zumindest verstand Pavlik die Frau nicht, und sie verstand, ebenso wie ich, Pavlik nicht. Dann gingen wir beide weiter in Richtung Bahnhof, und Pavlik sagte: »Dass man immer denkt, es gebe nur Reiche und Arme – Arme, die aber gern Geld hätten –, das stört mich. An die vielen Leute, die kein Geld verwenden möchten, denkt niemand.«
Es war ein Fehler gewesen, dass ich am Morgen nicht meine Wander-, sondern Lederhalbschuhe angezogen und Erstere bei Freunden gelassen hatte. Schon jetzt scheuerten die Schuhe an den Fersen. Der Elf hatte sich eine Stofftasche um die Schulter gehängt, ich trug zwei Jutebeutel mit meinen Sachen für die nächsten Tage: Schlafsack, Handtuch, Zahnbürste, Unterhose. Kein Geld. Nur zwanzig Euro für den Notfall, aber das war mein Geheimnis. Keine EC-Karte, keine Dokumente, so wie Elf.
Wir erreichten die Bahnhofsmission, die sich links neben den Gleisen versteckt hatte. Die Obdachlosen sahen hier in München gepflegter aus als die in Nürnberg, und es roch nicht nach Schweiß, sondern nach Reinigungsmitteln. An einer Theke schenkte ein Fräulein Tee und Kaffee aus und verteilte Schmalzbrote.
Pavlik trat an den Tresen: »Ich bezeichne mich als Elfen. Ich verwende kein Geld, und er ist ein Journalist und begleitet mich ein paar Tage. Wir lehnen, wie gesagt, den Gebrauch von Geld konsequent ab. Könnten wir bei Ihnen ein Essen bekommen?«
»Zu uns kommen eigentlich Menschen, die kein Geld haben, und nicht Menschen, die keines verwenden wollen. Aber ihr könnt Tee und Brote bekommen, wenn ihr wollt.«
Ich nahm nur einen Früchtetee, Pavlik ließ sich zwei Schmalzbrote geben. Er fragte mich, als er sie in der Hand hielt, was dieser Aufstrich sei.
»Schmalz. Das ist Schweinefett, vielleicht auch Fett von Gänsen.«
Er guckte angewidert, als halte er rohes Schneckenfleisch in der Hand, stand auf, ging mit den Broten wieder zum Tresen, gab sie zurück und bekam zwei neue Brote mit Margarine. Der Veganer war fast in eine tierische Falle getappt.
»Ich esse keine Tiere oder tierischen Produkte«, sagte er der Mitarbeiterin.
Ich mochte kein Brot nehmen, wurde aber auch vom Tee nicht satt. Nach der Teepause begann die Suche nach einem Abendessen. Jetzt wollte Pavlik Netto-Supermärkte aufsuchen, da man in deren Containern am besten gutes Essen finde. Denn der Netto trenne die Lebensmittel vom anderen Müll und sperre seine Müllbehälter in der Regel nicht zu. Elf holte einen DIN-A4-Zettel aus seiner Hosentasche und entfaltete ihn. Es war ein blasser Ausdruck eines Stadtplans von Google Maps aus dem Internet, mit Markierungen an den Orten, an denen Netto-Märkte waren. Tintensparend ausgedruckt, fast unsichtbar.
Auf dem Weg zum nächsten Netto in Schwabing kamen wir am Bonifatiuskloster vorbei. In der gläsernen Pförtnerkabine stand ein großer Mönch im schwarzen Habit. Er sagte mitleidsvoll, am nächsten Morgen könnten wir zum Essen kommen, es gebe auch eine Kleiderausgabe und die Möglichkeit zu duschen. Pavlik freute sich über diese Informationen, denn er benötigte dringend neue Schuhe und auch eine Dusche. Wir bedankten uns und gingen weiter, ohne den Mönch über das Glück des Lebens ohne Geld zu informieren.
In der Arcisstraße beanspruchte ein monumentales Gebäude einen ganzen Straßenblock für sich. Es war die Technische Universität. Pavlik witterte die Chance, darin einen freien Internetzugang zu finden. Er wollte im Internet in Containering-Foren nachlesen, auf welchen Parkplätzen man in München Essen finden kann. Wir betraten die TU, gingen durch Flure und Treppen hinauf, und im Flur des Lehrstuhls für Kommunikationsnetzwerke, zweiter Stock links, stand eine Bürotür offen. Wir guckten hinein, zwei junge Chinesen guckten heraus. Sie quittierten unsere Frage nach einem freien Internetzugang mit Blicken, mit denen sie auch eine Giraffe angeschaut hätten, die plötzlich in ihrem Büro gestanden hätte. In der Bibliothek im Innenhofgebäude hätten wir eine Chance, sagte einer.
Das sah von außen aus wie ein Raumschiff. Drinnen frag ten wir am Infoschalter nach kostenlosem Internet. Wenn man einen Antrag auf Mitgliedschaft ausfülle, dürfe man
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