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Vom Aussteigen und Ankommen

Titel: Vom Aussteigen und Ankommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Grossarth
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wurde am Ende der Geschichtstafel die Hoffnung auf eine bessere Zukunft dargestellt, in der die Menschen eine neue Bewusstseinsebene erreichen werden würden.
    Wir gingen durch Gänge und Geheimtüren von Saal zu Saal, Treppen rauf und runter. Der tiefste, der »Blaue Saal« war rund und hatte einen Kuppelhimmel. Die Wandzeichnungen zeigten Menschen und vom Aussterben bedrohte Tiere. Fantastische Bäume, oben Wale, unten in bunten Kleidern die Damanhurianer selbst. Capra erklärte routiniert, was alles zu bedeuten hatte: der Mensch als Bindeglied von materieller und spiritueller Ebene.
    Die Malereien waren so bunt, als sei hier ein unterirdisches Lager mit Farbeimern explodiert. Oben an der Kuppel leuchtete ein Sternenhimmel aus Dioden, so wie in Dorfkinos oder in Saunalandschaften. Hier fanden monatlich die Neumondzeremonien der Damanhurianer statt. Fremde durften daran aber nicht teilnehmen.
    Der Saal war erst so alt wie ich, Jahrgang einundachtzig, aber er hatte schon die Weisheit von Milliarden Menschen aus Milliarden Jahren aufgesogen. Ich überlegte, wie der Raum roch, und kam zum Schluss, dass er nach nichts roch.
    Capra machte das Licht aus, dann leuchtete nur noch der Sternenhimmel. Die Sterne flimmerten, sie spiegelten sich auf dem Marmorboden. Ich ging im Weltall spazieren.
    Es folgte der Saal der Erde, an dessen Wand, wohl acht Meter hoch, das Bild eines Mannes aufgemalt war. Er war zwar Mann, aber hatte keinen Penis. Dieser Mangel sollte Vollständigkeit darstellen. Über die Figur war die Silhouette eines weiblichen Körpers gezeichnet. Capra interpretierte, was der Künstler sich dabei gedacht hatte: Diese Darstellung eines Menschen, der sowohl Mann als auch Frau repräsentiert, symbolisiere den vollkommenen ersten Menschen, der sich dann in Mann und Frau aufgespalten habe.
    Etwas weiter an der Wand war eine Schlacht dargestellt. Bunte Menschen, die wieder die Gesichter der real existierenden Damanhurianer hatten, kämpften gegen ein Heer von grauen und gesichtslosen Monstern. Der Kampf der Menschen und der Damanhurianer gegen die innere Trägheit. Das hatte Ähnlichkeit mit den verklärten Soldaten- oder Arbeiterdarstellungen im Faschismus und Stalinismus. Zwei Tore aus buntem Glas, ein Sonnen- und ein Mondtor, führten aus dem Saal hinaus.
    Es folgte der Saal der Metalle. Sein Bodenmosaik zeigte die Laster der Menschen: Falschheit, Stolz, Pessimismus, Faulheit, Egoismus, Oberflächlichkeit. An den Wänden standen wieder Tonmännchen. Nächster Saal, eine nackte Frau mit prallen Brüsten als Mosaik, der Idealismus aus dem Tarot.
    »Die Kostbarkeit unseres Universums steckt in der Vielfalt der individuellen Erfahrungen«, sagte Capra mit seidenweicher Stimme.
    Aal in Aspik kam nirgendwo.
    Wieder öffnete sich eine versteckte Treppe – wie in der Geisterbahn. Dann gingen wir durch eine Betontür, Modell Luftschutzbunker. Hohe Gänge, Treppen. Sehr niedrige Gänge. Hieroglyphen. Götterbilder. Saal des Wassers. Meditationsraum der Könige. In einem weiteren Saal waren die Wände mit alten vergessenen Schriften beschrieben. Der Sinn des Tempels sei es auch, erklärte Capra, Teile des vergessenen Wissens der Welt intuitiv wiederzuerwecken. Der Tempel hatte durchaus etwas Erhebendes.
    Im vorletzten Saal erinnerten Schlangendarstellungen daran, dass hier ein energetisch stark aufgeladener Ort war. Denn die Bewohner dieser Welt glaubten, dass sich hier vier »synchronische Linien« kreuzten, das waren unsichtbare, achthundert Meter breite Energielinien, die den Globus umspannten. Deswegen hatte Falco genau hier gebaut, denn derart viele Energielinienkreuzungen gab es, wie seine jugendliche Utopistengruppe laut Gründungsmythos auf ihrer langen Reise herausgefunden hatte, sonst nur noch einmal irgendwo in Tibet. Der Saal, in dem sich die Linien kreuzten, war ganz golden. Acht alchemistische Kugeln lagen auf Sockeln und leuchteten bunt. Mich befremdete der Besuch in dieser gewaltigen Unterwelt, von der ich nie etwas gehört hatte, die aber jedes Kind eher kennen müsste als so langweilige Bauwerke wie den Eiffelturm. Es war wie in einem Traum.
    Ich sagte mir, sicher wäre auch ein Neandertaler, der heute nach Frankfurt reiste, tief befremdet, oder ein afrikanischer Naturmensch im Petersdom. So war es eben in neuen Welten. Von Energielinien aber spürte ich nichts, obwohl ich nicht in der DDR groß geworden war.
    Das Feuerwerk endete im Spiegelsaal. Er war viereckig und hatte eine pyramidenförmige Decke. Ich

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