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Vom Aussteigen und Ankommen

Titel: Vom Aussteigen und Ankommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Grossarth
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gegen jede Form des Versorgungs- und Hartz-IV-Staates. Dieser Gedanke führte uns zu dem Grund, warum er hier eingetreten war. Er sagte, nur in Gemeinschaften, die so klein seien, dass der Mensch direkt mit jedem kommuniziere, sei ein humanes Handeln möglich. Man kann Menschen lieben, aber nicht die Menschheit.
    Das war der späte Rousseau – die Einsicht, dass nur in kleinen Gesellschaften menschliches Handeln möglich sei: »Misstraut jenen Kosmopoliten, die in der Ferne in ihren Büchern Pflichten suchen, die in ihrer Nähe zu erfüllen sie nicht bereit sind. Ein Philosoph liebt die Tataren, um davon entbunden zu sein, seine Nachbarn zu lieben.« Er sah ein, dass übermäßige Reflexion zu nichts Gutem führe; vielleicht war das ja auch der Inhalt des Buches, das meine Zimmernachbarin im Ökodorf gelesen hatte: Wie Sie Ihre Hirnwichserei abstellen. Aber sie hatte sich dabei wohl nicht so viel gedacht.
    Am nächsten Morgen ging ich über den Friedhof spazieren, der über der Altstadt neben dem Kloster lag. Die alten Gräber waren wunderschön. Ich stand vor dem Grabstein von Frieda und ihrer Mutter:
    Hier ruht tief betrauert von den Ihrigen
Freifrau Paula v. Dobeneck
geb. Rück
geb. 16. März 1863 zu Tirschenreuth
gest. 21. März 1899 zu Füssen
und ihr Töchterchen
Frieda
geb. und gest. 11. Febr. 1897
    Der 11. Februar 1897 lag so lang zurück, doch Friedas Schicksal bewegte mich. Es machte demütig. Tragik ließ den Menschen niederknien. Demut. Das Leben empfangen. Das Matriarchat.
    Vor dem Eingang des Klostergartens stand eine Steinbank. In ihrer Mitte befand sich eine Steinskulptur von Jesus oder einem Hirten, der aussah wie Jesus. Er trug Blumen. Links und rechts von ihm waren Kerben zum Hineinsetzen. Ich setzte mich zur Rechten des Jesushirten in die Sonne, schaute auf die Stadt hinab und auf das Kloster, in dem Gebeine lagen, aber kein Mensch zu sehen war; und ich blickte hinauf zum Hirtenjesus, der einen Bart trug und langes Haar, ebenso wie die Likatier.
    Dann verließ ich Füssen. Monate nach meiner Reise bekam ich von einem Mitglied des Stammes, an das ich mich nicht erinnern konnte, folgende E-Mail:
    Lieber Jan,
ich bin der H. vom Stamm der Likatier. Wir haben uns ja während des Kennenlernseminars getroffen, und ich möchte mich einmal bei Dir melden. Wie Du mitbekommen hast, haben wir ja verschiedene Betriebe und wirtschaftliche Unternehmen und möchten unsere wirtschaftliche Autarkie durch den Aufbau neuer Betriebe forcieren. Ich möchte Dich in dem Zusammenhang fragen, ob Du die Möglichkeit besitzt, uns beim Aufbau neuer Betriebe mit einem Darlehen zu unterstützen. Vielleicht hast Du ja Lust, Dich auch vom maroden Banksystem zu verabschieden und lieber mit Gleichgesinnten zusammenzuarbeiten, um alternative Geldkreisläufe aufzubauen. Wir würden für ein Darlehen 4 % Zinsen zahlen, auch bei kürzeren Laufzeiten. Vielleicht hat die Idee, Geld in einem nachhaltigen Zukunftsprojekt wie dem Stamm der Likatier anzulegen, ja einen gewissen Charme für Dich.
Über eine kurze Nachricht von Dir, wie Du zu diesem Thema stehst, würde ich mich sehr freuen.
Liebe Grüße aus Likatien sendet Dir
H.

Ein mittelalterliches Gehöft in Thüringen
    Auf halbem Weg vom Bürger nach irgendwo war auch ein Paar in Thüringen, Silvio und Catrin Roßberg. Sie faszinierte das Mittelalter, dahin begannen sie Schritt für Schritt zurückzukehren.
    Silvio holte mich am Busbahnhof ab, er hatte sich eine mittelalterliche Lederhose angezogen, Lederschuh-Unikate und ein Leinenhemd, dessen Halsöffnung mit einer Kordel zusammengebunden war. Sein brauner Bart war der einer Ziege, und seinen Schopf hatte er über den Schultern zum Pferdeschwanz zusammengefasst.
    In Ostthüringen, zwischen Gera und Zeulenroda, war das Land so grün wie im Allgäu, aber die Berge waren noch Hügel. Ich war in Frankfurt wieder in die Bahn umgestiegen. Silvio holte mich in Auma ab und fuhr mich zu seinem Mittelalter-Gehöft. In dem Tal, in dem wir ankamen, floss braun ein Bach, der »Weida« hieß. Eine Straße führte von beiden Seiten herab in das Tal, von Göhren nach Döhlen, und die wenigen Autos, die hindurchfuhren, wurden hier langsam, als verneigten sie sich vor dem Dorfidyll. Doch die Fahrer wollten nur die Federungen ihrer Autos schonen, denn die Straße war kopfsteingepflastert.
    In Döhlen gab es vierzehn Häuser, und alle Zeiten hatten Spuren hinterlassen. Die Kirche war barock, sie stand auf dem Friedhofshügel, der höchsten Erhebung im

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