Vom Aussteigen und Ankommen
vor. Sie waren grauhaarig und bieder gekleidet, einer Lehrer, einer Diplomat im Ausland. Sie sahen aus wie alte Männer und Frank wie ein Zeitreisender, jetzt erst verstand ich, wie alt er schon war.
Das Bierzelt war mit Transparenten der Schlossbrauerei geschmückt. An unserem Tisch saß die späte Bohème des südlichen Steinwaldes: ein Tätowierer aus dem Dorf, der Diplomat, eine neununddreißig Jahre alte Frührentnerin, Frank und wie am Vorabend der Sohn von Emmi, das Nesthäkchen. Die Kapelle spielte nicht mehr, doch ein Musiker stand noch einmal auf und blies einen Marsch auf der Trompete. Betrunkene Jugendliche feierten ihn.
Gegen halb zwei waren wir die letzten Gäste. Die Frührentnerin erzählte ihre Krankengeschichte, der Tätowierer trank einen tiefen Zug und kotzte die zuvor aufgenommene Flüssigkeit quer über dem Biertisch wieder aus.
Der Diplomat erzählte eine Geschichte, die vor einiger Zeit in Berlin passiert sei: Die Leiche einer einsamen Frau sei erst Jahre nach ihrem Tod in ihrer Wohnung aufgefunden worden, aber nur deswegen, weil sich schon so viele Werbeprospekte in ihrer Küche gestapelt hätten, in die der Briefkastenschlitz mündete, dass die Werbeboten keine Gratiszeitungen mehr hätten einwerfen können.
Wir alle lachten, wir alle waren kinderlos.
Ich schlief schon viele Nächte auf ranzigen Matratzen, und ich schlief so gut, dass das kein Matratzenverkäufer glauben würde.
Am dritten Tag fand das Frühstück um 13.40 Uhr statt, es begann mit sehr harten Blauschimmelsemmeln und einer Diskussion über den Katholizismus. Der Protestant Frank regte sich gern über die Katholiken auf. Neben seinem Bett stand aber eine Ikone, ein Geschenk seiner Eltern zu seiner Konfirmation. Er sei überzeugter Protestant, sagte er, auch wenn er nicht bete, gehe er in die Kirche. Über den göttlichen Papst, die perversen Strukturen des Zölibats, die degenerierten Priestertypen hier auf dem Land ärgerte er sich aber nur deshalb so viel, weil er um all diese Institutionen fürchtete. Er hoffe, dass die soge nannten Volksreligionen als integrierende Kraft der Gesellschaft bestehen blieben, sagte er: »Kirchenaustritte sind nichts, worüber wir uns freuen sollten.« Eigentlich hätte er als Redner jederzeit gut auf dem politischen Aschermittwoch der CSU auftreten können.
Unser nächstes Thema war die gute alte Sozialdemokratie, die schlechte neue und dann die Oberpfälzer. Frank sagte über sie, er sei oft traurig, weil es mit ihnen wenig Kommunikation gebe. Mit Menschen, die seit Jahrzehnten aufgehört haben zu denken. Wenige seien anders, wie sein guter Freund. Frank schätzte wiederum den Humor, die Bodenständigkeit und den Dialekt der Oberpfälzer, doch er verachtete ihre geistige Trägheit. Sein Leben war ein jugendlicher Protest. Frank ging auf die fünfzig zu.
Um 18.30 Uhr begann dann der Arbeitstag. Zehn Grad, bewölkt, der Sommer fiel wohl aus.
Wir gingen auf die Plantage, um zu arbeiten. Zwei Stunden, bis es zu dämmern begann, jäteten wir Unkraut. Ich war für Reihe zweiundzwanzig zuständig. Nacktschnecken, Erdgeruch, Nieselregen, Ampfer, Disteln, Schachtelhalm, Pilze im Mulch, Rücken und Knie schmerzten abwechselnd, je nachdem, ob ich mich zum Unkraut herabbeugte oder in die Knie ging. Frank sagte, seine Kniegelenke zwickten nicht mehr, er sei an diese Arbeit gewöhnt. Aber er nutzte, während ich durch Reihe zweiundzwanzig krabbelte, selbst ein Greifgerät, mit dem er kerzengerade stehend bequem die Unkräuter aus dem Mulch riss.
Das Modell Frank & Emmi
Die Sonne ging unter. Frank hatte die Idee, am letzten Abend noch einmal Emmi zu besuchen. Wir fuhren durch den Wald, hielten vor Emmis Haus, doch sie hatte nichts gekocht. Im Dorf gab es ein Vereinsheim, wir gingen hinein. Fünf Männer spielten Karten, tranken Zoigl – das landestypische untergärige Bier – und hatten einen so starken Akzent, dass ich in ihrer Sprache nichts Vertrautes erkannte. Präparierte Hechte hingen an der Wand. Auf unseren Tellern lag Wurstsalat.
Emmi aß, und Frank geriet in Rage: »Die hassen hier Veränderungen und wollen einfach nicht wahrhaben, dass sich alles rasant wandeln wird. Ich leiste hier Basisarbeit und kläre das dumme Volk auf, das so erschreckend uninteressiert ist.« Deswegen, sagte er, bleibe er hier, er sei Patriot. »Wir haben unseren Wohlstand unseren Vätern und den geistigen Größen des Landes zu verdanken, und deshalb darf man jetzt nicht einfach sagen: ›Die Zeiten werden
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