Vom Aussteigen und Ankommen
wie der in der Uckermark, aber sie nannte sich nicht so, sie war keine progressive, sondern eine altmodische und theorielose Tauschwirtschaft.
Er benötigte wenige hundert Euro im Monat. Er tankte steuersparend im nahen Tschechien. Am teuersten war das Heizöl. Um sich auch das zu sparen, wollte er vom kommenden November an in Australien überwintern. Der Hin- und Rückflug wären günstiger als das Öl, das er im Winter verbrauchen würde, und dort gebe es gute Jobs in der Landwirtschaft.
Franks Vater war Agraringenieur und leitete in dieser Gegend die Landwirtschaftsbetriebe der Großgrundbesitzer. Er war ein protestantischer Bildungsbürger, konservativ und angesehen in der katholischen Gegend, auch deshalb, weil die Familie im Schloss der Barone leben durfte. Als Kind arbeitete Frank in den Sommerferien mit seinem Vater oder mit den angestellten Landarbeitern draußen auf den Feldern. Als Teenager hörte er Zappa und Deutschrock, begann nach dem Abitur ein Geologiestudium, brach es ab und fuhr mit seinem VW-Bus an mediterrane Küsten. Er wollte immer lieber in der Natur arbeiten als in einem Unternehmen, denn er fürchtete Hierarchien, Abhängigkeiten und Mobbing. Er baute also an Schweineställen mit, arbeitete mit dem Förster, als Erntehel fer und als geologischer Laborant in einem Tiefbohr-Unternehmen.
»Ich habe mich noch nie im Leben irgendeiner Firma angedient. Wer verlässliche Arbeit macht, ist auch so gefragt, das spricht sich herum«, sagte er.
Deswegen hatte er einen Groll auf Frührentner und jammernde Arbeitslosengeld-Empfänger wie auf die ganze Sozialstaatslobby. Er bezeichnete sich als einen Sozialdemokraten, der sich um die Sozialdemokratie sorgte.
»Die ganzen CSU-Wähler hier, die mit dreißig und vierzig Jahren immer gesagt haben: ›Alle, die nicht arbeiten, sind faul und Schmarotzer‹, sind jetzt mit fünfzig in Frührente«, echauffierte er sich.
Franks Stimme klang aufgeregt. Diese Leute provoziere er gern an den Stammtischen. Er war der Bad Boy in einer satten, untergehenden Bürgerwelt. Ja, aber der Rücken schmerze schon sehr, entgegneten die Leute Frank dann. Frank selbst hätte als Geringverdiener Anspruch darauf, sein Einkommen um ein paar hundert Euro Wohngeld im Jahr aufzustocken, aber er verzichtete darauf.
Nach dem zwei Stunden langen Frühstück fuhren wir am Nachmittag auf den Flugplatz der Stadt Weiden, um einem Freund bei der Arbeit zu helfen. Die Straße kurvte durch Dörfer, die aussahen wie Franks Dorf. Die nördliche Oberpfalz war eine weite und schöne Landschaft, aber auch eine kühle. Man sah der Natur und den Häusern an, dass die Winter hier im Osten härter waren. Die massive Steinbauweise der Häuser ließ die Dörfer aussehen wie Festungen.
Franks Freund, der schon mit einem Traktor über den Flugplatz fuhr, war auch Lebenskünstler. Er hatte von der Stadt den Auftrag, den Rasen auf dem Flugplatz zu mähen, wir halfen. Ich fuhr von zwei bis neun Uhr abends mit einem John-Deere-Rasenmäher über den Platz, dann kehrten und trugen wir das Gras zusammen, bis meine Arme nicht mehr konnten und eine Zecke an meinem Bein saugte. Den ganzen Tag hatte es nur ein Snickers zu essen gegeben.
Um kurz vor zehn saßen wir dann wieder in Franks Zimmer, ich hatte Hunger, Frank saß am Computer und guckte nach Autoinseraten und Aktienkursen. Er war schlank, er brauchte wohl nicht viele Nährstoffe.
»Ich habe wirklich großen Hunger«, sagte ich.
»Ja, ja, das Landleben ist hart«, lautete Franks Antwort.
Ich ging hinunter in den Polenraum und griff tief in den Sack, in dem die getrockneten Blaubeeren lagerten, stopfte mir den Mund voll und aß, es schmeckte staubig und süß. Die Beeren waren leicht wie Styroporkügelchen.
Am Abend war im Nachbardorf ein Fischerfest, nachts, als viele der gewöhnlichen Leute schon wieder nach Hause gingen, fuhren wir hin. Sein Tagesrhythmus trennte Frank von seiner Umwelt, so wie sein Äußeres – und wie sein Inneres. Alles trennte ihn, aber er gehörte fest dazu. Er kannte jeden.
Um 23.00 Uhr erreichten wir das Bierzelt, ich aß drei Nackensteak- und ein Heringsbrötchen. Die Blaskapelle spielte noch, Maßkrüge wurden aneinandergeklatscht, die Dorfjugend lief rein und raus und trug an ihren Haferlschuhen und Sneakers den Matsch vom Vorplatz ins Zelt. Frank redete mit diesem und jenem, ich hatte den Eindruck, dass er bei den über Vierzigjährigen ein Frauenschwarm war. Er stellte mir hinten am Stehtisch zwei seiner Schulfreunde
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