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Vom Aussteigen und Ankommen

Titel: Vom Aussteigen und Ankommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Grossarth
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ihren Putz verloren. Ein bröckelndes Christusbild hing an der Wand. Alles zerbröselte. Den zweiten Raum hatten eine Gruppe dänischer Holzstühle und Spinnweben für sich. Hier hätten vor wenigen Jahren zwölf polnische Erntehelferinnen zugleich gearbeitet, sagte Frank, als sein Bruder in der Nähe noch ein Erdbeerfeld betrieben hatte. Das lief nicht so, aber mit den Polinnen hätten sie viel Spaß gehabt. Hier lagerten jetzt ein paar Säcke mit getrockneten Blaubeeren der Sorten Blue Crop, Duke und Elisabeth. Frank griff in einen Sack, ließ die Früchte durch seine Finger rieseln und aß die Beeren, die auf der Handfläche liegen blieben.
    »Gut gegen Verdauungsstörungen«, sagte er. »Es ist einfach eine sympathische Frucht. Wenn sie da ist und der Mensch sie sieht, dann wird er gierig danach.«
    Im dritten Zimmer stand mein Hochbett. Frank nannte es »das Polenbett«. Die Matratze war weich wie ein Camembert, der Bettbezug bunt, mit Pferde- und Strichmännchenmotiven. Ich hatte nicht den Eindruck, dass er schon einmal gewaschen worden war. Auf der oberen Hochbettliege konnte niemand mehr schlafen, bis unter die Decke stapelten sich Pappkartons für den Heidelbeertransport im Herbst. Tomaten und andere Pflänzchen streckten von der Fensterbank aus ihre grünen Ärmchen in Richtung Tageslicht.
    In einem nahe gelegenen Dorf hatte es in den achtziger Jahren einen Amoklauf gegeben. Es gab Tote, und es stand ganz vorn in der Bild Zeitung. In ganz Deutschland sprach man darüber, im Dorf bis heute kein Wort, erzählte Frank und lachte spöttisch.
    Eine Wendeltreppe führte weiter in diese Junggesellenwelt. Der raue Teppich roch in Kombination mit dem Treppenholz nach den siebziger Jahren. Vor dem Treppenaufgang war ein Klozimmer, dessen Decke durchgebrochen war, aus den Tiefen der Bausubstanz schimmelte es schwarz.
    »Das ist dein Scheißhaus«, sagte Frank. »An einer Stelle drückt das Wasser durchs Dach, aber nur bei Westwind.«
    Frank bewohnte eigentlich nur ein Zimmer im Obergeschoss, das war moderner eingerichtet, frühe neunziger Jahre. Darin standen zwei Betten, ein Sessel, ein Glasschreibtisch, ein Computer, eine Stereoanlage und viele Bücher über den Nationalsozialismus. Wir setzten uns hin, aßen den Kuchen und sprachen viereinhalb Stunden über Heidelbeeren, die Oberpfalz und den Protestantismus.
    Auf die Idee, Heidelbeeren zu züchten, war Frank gekommen, als sein Bruder noch das Erdbeerfeld hatte. Die Erdbeere war ihm aber zu kompliziert, ihre Qualität hing stark vom Wetter ab, sie wurde, wenn sie reif war, zu schnell matschig. Er las Bücher über verschiedene Beerensorten, entschied sich für die Heidelbeere, die unkomplizierteste Frucht, die lang frisch blieb, auch wenn sie schon erwachsen war. Er kaufte für mehrere tausend Euro fünfhundert Büsche, Sägespäne und Hackschnitzel, von einem Winzer einen alten Weinbergtraktor und legte die Plantage an. Zwei Jahre später – das lag nun vier Jahre zurück – war das erste Erntejahr. Er verkaufte die Beeren an Bioläden aus dem Umkreis von Weiden bis Bayreuth.
    Ein Schälchen kostete im Geschäft vier, fünf Euro, und die Leute zahlten so viel, weil die Beeren aus der Region kamen. Die Erntezeit dauerte höchstens zwei Monate. Den Rest des Jahres machte die Plantage so gut wie keine Arbeit. Die Blaubeeren waren für Frank fast wie ein bedingungsloses Grundeinkommen. Im vergangenen Winter arbeitete er gar nicht, im Frühjahr ein wenig, jetzt im Juni war wieder kaum etwas zu tun, die Beeren wuchsen einfach so. Im Winter schnitt er wenige Tage lang das abgestorbene Holz von den Büschen, gelegentlich erneuerte er den Mulch oder düngte die Heidelbeersträucher mit Haarmehlpellets aus Schweineborsten. Im Juni musste er zwei Wochen Unkraut jäten.
    »Man geht raus, wenn schönes Wetter ist und wenn man Lust hat«, sagte er. Heute war kein schönes Wetter. »Ich mache immer das, was mir gerade in den Sinn kommt«, meinte Frank. »Mit Leuten, die jeden Tag in die Firma gehen, abends nach Hause kommen und sich um zehn schlafen legen, kann ich nichts anfangen.«
    Am frühen Abend klingelte dann das Telefon, Frank sprach kurz, legte auf und sagte: »Der Emmi ist heut ein Hecht in die Pfanne gehüpft.« Die Aussicht auf ein Abendessen war erfreulich, denn Franks Kühlschrank war leer.
    Um halb elf abends, es war schon dunkel, fuhren wir los und kamen in einem winzigen Dorf an. Es hatte vielleicht zehn Häuser. Emmis Stube war großzügig geheizt, über dem

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