Vom Baum Der Erkenntniss
Advokaten Hülfe und Beistand finden? Oder erleben wir noch den Krieg der ehrlichen Menschen gegen die unehrlichen und für Fürsten und Staatsmänner die Notwendigkeit, über alle human klingenden Phrasen hinweg, mitten im Frieden einen permanenten Belagerungszustand erklären zu müssen?
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Gedankengemeinplätze und auch gewisse Bilder haben ihre Modezeit und periodische Wiederkehr. So war vor dreißig Jahren die »tönende Memnonssäule« im Gebrauch. Die realistische Gegenwart hat es mehr mit dem »rothen Faden.«
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Die historische Vergangenheit unseres Erdballs und die Erzählung seiner politischen Geschichte scheint die Schule zur historischen Tugend nicht mehr bleiben zuwollen. Denn findet man da nicht eine nicht endende Galerie von Bildern des Rechts und Unrechts, vom bejammernswürdigen Kampf des schwachen Guten mit dem mächtigen Bösen? Unsere Zeitgenossen haben darum auch immer mehr Neigung, den Blick abzuwenden von dem, was uns durchaus die Vergangenheit lehren soll. Der Aufblick ins All, die Anknüpfung unseres Erdenberufs an die Geheimnisse des Universums im Allgemeinen haben eine Würdigung der früheren Begebenheiten unseres Erdballs hervorgerufen, deren wunderbare Macht in allen Gebieten der Tradition riesenhafte Wirkungen hervorzubringen scheint und uns sogar ermuthigen kann, anzunehmen, daß die, welche unsere Geschichte immer wieder den Leidenschaften der Nationen und Dynastieen überantwortet wissen wollen, schon, im Beginn ihrer Verbrechen gegen den Geist der Zeit vom Gericht der öffentlichen Meinung so gekennzeichnet sind, daß sie ohne Kampf erliegen müssen, ohne Widerstand geschlagen sind. Es rauschen die Pforten eines Zeitalters auf, wo die alten Annalen der Geschichte zwar eine gewisse Beweiskraft nie verloren haben werden, diese aber mit den heiligen Urkunden einer erhabenen und tief in die Massen eingreifenden Naturbetrachtung werden theilen müssen, einer Naturbetrachtung, die uns jetzt schon lehrt, Vielesgeringfügig zu achten, was uns in den alten Tagen der Spittler, Schlözer, Dohm u. A. mit Furcht und Schrecken erfüllte.
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Den Fürsten nahen sich nicht so viele Schmeichler, wie den Völkern Aerzte ihrer Leiden, Propheten ihrer Schicksale, Ausleger ihrer Träume. Seit fünfzig Jahren ist dieses Zuhofegehen bei des Volkes Majestät, dies Hutabziehen und Demüthigen vor dem großen ungekrönten Souverän, Masse genannt, Mode geworden. Was schwänzeln und fliegen die Kammerherren nach den Winken dieses oft so ungnädigen Gebieters! Der Souverän, heißt es in der Regel, liegt in Elend gehüllt, auf Stroh hingestreckt und die hohen Agnaten und Cognaten, die Vetter-Liebden und Schwäger Durchlauchts, die ein-, zwei-, dreijährigen Buben und Mägdlein, schreien nach Brot und Kartoffeln, und vor ihnen knieen alle Weisen des Morgen- und Abendlandes, singen Lobgesänge und räuchern mit Myrrhen und Aloe. Kein Potentat genießt so viel Verehrung wie jetzt das Volk. Für die Heilung seiner Schäden und Gebrechen werden Preise ausgeschrieben, tausend Vereine sind ihm zu Liebe schon gestiftet wordenund abertausend sind im Entstehen begriffen, alle Parteien der Welt drängen sich zu dem hohen Patienten, fühlen ihm den Puls, bieten ihm Arzneien, ihren leiblichen und geistlichen Trost an, und die Poeten, die nun vollends, die sich doch sonst vom Volk die Schleppe tragen ließen und sie jetzt dem Volke tragen, kommen auf den Zehen, wickeln ihre Verse in den Abfall des Volkselendes, verwässern ihren Nektar, verdünnen ihre Ambrosia, Alles, Alles dem »Volke« zu Liebe, dem großen majestätischen Gebieter des Jahrhunderts. Es ist auch da eine Grenze, wo die Wahrheit aufhört und die Mode anfängt.
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Hätte man doch noch die alte Sitte, daß sich die Könige vor die Fronte ihrer Armeen riefen und ihre Händel durch Zweikampf ausmachten – ! Einige Gänge – und Ruhe und Friede wäre in der Welt.
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Wann wird die Zeit anbrechen, wo sich die Fürsten nicht gegenseitig ihre Throne, sondern die Völker gegenseitig ihre Freiheiten verbürgen?
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Es zieht sich jetzt durch die ganze, auch die deutsche Welt ein eigentümlicher, blasirt genußsüchtiger, witzelnd ironischer, selbstgenügsam frivoler Ton, der dem Ernsten, Gesinnungsvollen und Schwunghaften um so mehr aus dem Wege geht, als leider auch genug aus dem Schoß der Wissenschaft und Kunst heraus selbst geschieht, um eine nüchterne, ja dummdreiste Verachtung des Ernsten und Gesinnungsvollen auf den Thron zu setzen. Eine
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