Vom Buch zum Byte. Kurze Geschichte des E-Books (German Edition)
Oxford, Stanford und Michigan sowie der New York Public Library sollten insgesamt mehr als 15 Millionen Bände digitalisiert werden.
Trotz aller Absprachen mit Verlagen und Universitäten war Google mit seinem Vorhaben juristisch jedoch noch längst nicht auf der sicheren Seite. Nur etwa zwanzig Prozent der eingescannten Titel gehörte zur Kategorie aktueller, lieferbarer Titel, die sich klar einem Rechteinhaber zuordnen ließen. Weitere zwanzig Prozent gehörten zum Bereich der Public Domain, was in den USA für alle Bücher zutrifft, die vor 1923 veröffentlicht wurden. Doch für die große Mehrheit der Bibliothektsbestände galt in Sachen Copyright: Nichts genaues weiß man nicht.
„Etliche Millionen Bücher, die irgendwann veröffentlicht und dann nie wieder nachgedruckt wurden, liegen in den Regalen der Bibliotheken. Ihr rechtlicher Status ist unklar. Auf manche hat noch jemand einen Urheberanspruch, bei anderen ist er erloschen. Die Googler entschieden beherzt, auch die restlichen 60 Prozent der Bücher der Welt in Google Print zu überführen“, berichtet Lars Reppesgaard.
Während gemeinfreie Bücher auf dem seit 2005 „Google Book Search“ genannten Webportal vollständig lesbar waren und auch heruntergeladen werden konnten, galten für die übrigen Werke abgestufte Einschränkungen. Bei lieferbaren Titeln wurde nur eine vorher festgelegte Zahl von Seiten angezeigt, bei den „verwaisten“ Werken ohne feststellbaren Rechteinhaber bekam man nur „Snippets“ zu sehen, also wenige Zeilen lange Textausschnitte. Sobald Verlage die sogenannte „Opt-Out“-Möglichkeit wählten, ließen sich im übrigen auch aktuelle Titel bei Googles Book Search nur „schnippchenweise“ lesen.
Das nützte letztlich aber alles nichts: Google wurde noch im Jahr 2005 wegen Copyrightverletzungen verklagt – einmal von der Autorenvereinigung „Author’s Guild“, zum anderen vom Verlegerverband „Association of American Publishers“ sowie von fünf großen Verlagen. Erst drei Jahre später konnte der Rechtsstreit vorläufig beigelegt werden (eine endgültige Entscheidung steht auch im Jahr 2012 noch aus) – mit einem Kompromiss, der als „Google Book Settlement“ in die Mediengeschichte einging. Der Suchmaschinen-Riese zahlte in dessen Folge 125 Millionen Dollar an Entschädigungen an Autoren und Verlage. Vor allem musste das Unternehmen auch die Interventionsmöglichkeiten für Rechteinhaber verbessern, die ihre „Claims“ nun etwa auf einer eigenen Website anmelden können, um von den E-Book-Tantiemen zu profitieren.
Zugleich schuf das „Google Book Settlement“ aber auch die Grundlage, das Scan-Projekt fortzusetzen. Damit waren die Weichen gestellt für ein weltgeschichtlich einmaliges Wissens-Monopol, kritisierte Robert Darnton, Historiker und Leiter der Universitätsbibliothek von Harvard, in der New York Review of Books:
„Das Settlement führt zu einem fundamentalen Wandel der digitalen Welt, denn es befestigt die Macht in den Händen eines einzigen Unternehmens. Sieht man mal von Wikipedia ab, kontrolliert Google bereits jetzt die Zugangsmöglichkeiten der meisten Amerikaner zu Informationen aller Art, ob es nun darum geht, etwas über Personen herauszufinden, über Waren, Orte, oder sonst irgend etwas. Google Book Search verspricht nun auch noch zur größten Bibliothek zu werden, die jemals existiert hat.“
Zu diesem Zeitpunkt, im Jahr 2009, umfasste Googles Buchsuche etwa 10 Millionen Bücher. Heute, im Jahr 2012, sind es bereits 20 Millionen. Ging es zu Beginn des Projekts um das Digitalisieren von vielleicht 1000 Seiten pro Tag, erreichen die neuesten Scanner mittlerweile Rekordwerte von mehr als 1000 Seiten pro Stunde. Das utopische Endziel der universalen Bibliothek scheint nun bereits zum Greifen nah zu sein. Google hat bereits mehrmals angekündigt, bis zum Jahr 2020 alle Bücher der Welt – schätzungsweise 130 Millionen Bände – im digitalen Kasten zu haben.
Der Ideengeschichtler Darnton, Experte für die Zeit der französischen Aufklärung, sieht die Informationsgesellschaft somit zu Recht auf einen Kipp-Punkt zusteuern: „Wenn wir die Waagschalen in dieser Situation falsch austarieren, könnten Firmeninteressen auf absehbare Zeit schwerer wiegen als das Gemeinwohl, und der alte Traum der Aufklärung bleibt auch weiterhin unerreicht.“
Die digitale „Bibliothek von Alexandria“ ist nicht nur in privater Hand, sie ist auch zugleich ein großer Supermarkt für Literatur,
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