Vom Dämon gezeichnet - Rowland, D: Vom Dämon gezeichnet
»Nein, ich hab noch eine mögliche Überdosis im Kühlfach liegen, aber die mache ich heute Nachmittag.« Er zog ein mürrisches Gesicht. »Eigentlich habe ich diese Woche Urlaub. Es ist der erste richtige Urlaub, den ich mir genommen habe, seit ich angefangen habe, hier zu arbeiten.« Dann zuckte er die Schultern. »Aber ich bin froh, dass man mich gefragt hat, ob ich bereit sei, für diesen Fall zurück in die Stadt zu kommen. Sonst hätte man die Leiche nach New Orleans geschickt, und das Büro dort ist ziemlich überlastet.«
Ich verstand ihn vollkommen. Obwohl der Wirbelsturm Katrina bereits Jahre her war, wurde in der Stadt und in der Umgebung immer noch am Wiederaufbau gearbeitet. Und manches würde nie wieder so sein wie früher.
»Ich habe schon mal einen Blick auf ihr Mädchen geworfen, als es reinkam«, fuhr er fort. »Sieht ganz nach einem weiteren Opfer des Symbolmörders aus, nicht wahr?«
Ein Schauder überlief mich. »Allerdings, Doc. Nicht allzu viele Leute kennen sämtliche Einzelheiten des Symbols. Ich glaube jedenfalls nicht, dass es ein Trittbrettfahrer war.«
Ich sah ihm zu, wie er begann, die Fallnummer auf verschiedene Sticker zu schreiben und die auf leere Fläschchen und Plastikbehälter zu kleben. »Und wann kommen Sie mal im einundzwanzigsten Jahrhundert an und lassen das einen Drucker für sich machen?«, fragte ich mit einem Lachen.
Er gab ein unfreundliches Geräusch von sich. »Ich bin froh, es gerade ins zwanzigste Jahrhundert geschafft zu haben.« Die Leichenhalle der Gemeinde spiegelte das erschreckend geringe Budget wieder, mit dem er arbeiten musste. Die Räume, in denen die Sektionen stattfanden, waren vom Krankenhaus angemietet, was bedeutete, dass die Instandhaltung nicht besonders gut funktionierte.
Vor mehreren Jahrzehnten waren die Wände wahrscheinlich einmal weiß gewesen, aber jetzt hatten sie ein kränkliches Beige angenommen, das mit Flecken übersät war, deren Ursprung man gar nicht so genau wissen wollte. Als ich das erste Mal an einer Autopsie teilgenommen hatte, hatte mich einer der Sektionsgehilfen gewarnt, grundsätzlich Handschuhe zu tragen, wenn ich den Autopsieraum betrat, da Blut überall hingelangte und man sich schon dadurch einiges einfangen konnte, wenn man sich irgendwo gegen eine Wand lehnte. Nachdem ich das erste Mal eine Sektion gesehen und beobachtet hatte, wie der Knochenstaub durch den Raum flog, als der Schädel aufgesägt wurde, hatte ich mir den Rat sehr zu Herzen genommen und ab dann immer Schuhschützer und Handschuhe getragen, wenn ich dort war.
»Also fangen wir an«, erklärte der Doc, stand auf und zog sich einen blauen Plastikkittel an und band sich eine Einwegschürze um. Dr. Lanza war ein schlanker Mann, ungefähr so groß wie ich, mit dunklem Haar und dunklen Augen und einem freundlichen Lächeln unter seiner eindeutig griechischen Nase. Er war außerdem unglaublich erfahren, da er einige Jahre bei der Gerichtsmedizin in Las Vegas gearbeitet hatte und auch ein paar Jahre in Houston. Ich war mir nicht sicher, wie es dem kleinen Kaff St. Long gelungen war, sich jemanden mit seinem Ruf zu schnappen, aber ich wollte mich genauso wenig wie alle anderen darüber beschweren.
Der Raum, in dem die Sektionen durchgeführt wurden, sah aus, als stamme er aus einem B-Movie der Vierzigerjahre. Ein Metalltisch schloss mit einem metallenen Waschbecken ab. Die Leiche lag bereits frisch gewaschen für den Doc bereit. Das Schneidbrett und eine Auswahl albtraumhafter Gerätschaften lagen wohlgeordnet auf dem Tresen neben dem Becken – Skalpell, Schere, ein langes Messer und andere Utensilien, von denen ich wusste, dass sie so nette Namen hatten wie Schädelbrecher.
Ich trat näher und warf einen Blick auf mein Opfer – es war jetzt einfacher, nachdem die Tote gesäubert worden war. Einfacher, die Schäden zu erkennen, die man ihr zugefügt hatte, die Male der Folter, die sie hatte erleiden müssen. Da nun das Blut und der Dreck abgewaschen waren, konnte ich auch ihre Gesichtszüge erkennen. Wahrscheinlich hätte man über sie niemals gesagt, dass sie schön gewesen sei oder auch nur hübsch. Sie hatte eine Hakennase und ein fliehendes Kinn und Augenbrauen, die noch nie den Schmerz einer Wachsbehandlung erfahren hatten. Ihre Augen waren von einem gewöhnlichen Braun, aber der Tod konnte selbst die strahlendsten Augen stumpf erscheinen lassen. Ihre Beine waren mager, aber um Bauch und Hüften war sie übergewichtig. Automatisch suchte ich nach
Weitere Kostenlose Bücher