Vom Dämon versucht - Rowland, D: Vom Dämon versucht
entspannte.
Ich seufzte leise vor Erleichterung, als die Trauerfeier endlich begann. Jill kam zu mir, griff nach meiner Hand und drückte sie, wofür ich ihr extrem dankbar war. Ich lächelte sie an, und mir wurde plötzlich bewusst, wie viel Glück ich doch hatte. Es war verdammt leicht, in einem großen Teich aus Selbstmitleid zu versinken.
Der Gottesdienst war lang und ermüdend. Jeder nur irgendwie politisch tätige Mensch bestieg von tiefer Trauer ergriffen das Podium, um Brians Tugenden zu preisen, was ziemlich surreal und fremdartig wirkte, wenn man an die laufenden Ermittlungen dachte. Wie ich erwartet hatte, entwickelte sich die Beisetzung zu einem Fest der Schleimer und Arschkriecher, die Wert darauf legten, auch weiterhin vor Richter Harris Roths Augen Gnade zu finden. Die Klimaanlage im Saal war durch die Menge der Anwesenden deutlich überfordert, und als der Gottesdienst endlich ein Ende fand, waren alle verschwitzt, genervt, nervös und gelangweilt.
Ich blieb zurück, während die Leute nach draußen strömten. Ich beobachtete Harris Roth, als er in einem perfekt geschnittenen schwarzen Anzug, der mit Sicherheit nicht von der Stange war, an mir vorbeikam. Bisher hatte ich den Mann nur auf Bildern gesehen, aber ich musste zugeben, dass sie ihm nicht gerecht wurden. Er war groß, in einer Weise gut aussehend, die nicht unbedingt etwas mit seinen Gesichtszügen zu tun hatte, sondern mit seiner Aura von Selbstvertrauen und Autorität. Er war ganz bestimmt nicht hässlich, mit einem ausgeprägten Kinn, schwarzem Haar, das schon von vielen grauen Strähnen durchzogen war, grauen Schläfen und dunklen Augen, die geradeaus blickten und niemanden zu sehen schienen. Obwohl seine Augen trocken waren, zweifelte ich nicht an der Tiefe seiner Trauer. Sie war in sein Gesicht gemeißelt und schien ihn wie eine Wolke zu umgeben. Ich konnte mir nicht vorstellen, was für ein Gefühl es sein musste, das eigene Kind zu verlieren – ganz besonders auf diese Weise.
Die Frau an seinem Arm identifizierte ich als Rachel Roth. Sie war die zweite Mrs. Roth – aber viel mehr als das wusste ich auch nicht. In solchen Dingen war ich immer schrecklich uninformiert. Während Harris angenehm markante Gesichtszüge besaß, waren die von Rachel zwar ebenfalls markant, doch als Schönheit konnte man sie nicht bezeichnen. Sie war absolut nicht unattraktiv, aber offensichtlich war es für sie harte Arbeit, das Beste aus sich zu machen. Allerdings musste ich zugeben, dass ihr das auch mit Erfolg gelang. Sie strahlte Selbstvertrauen und eine gewisse Lässigkeit aus, ihre Figur war gut in Form, die Highlights in ihrem Haar waren perfekt, ihr Make-up makellos, ebenso wie ihre Kleidung. Selbst ihre Tränen wirkten perfekt. Vorsichtig tupfte sie mit einem Stofftaschentuch ihre Augen ab, wobei sie jedoch aufrecht und würdevoll wirkte – was mich persönlich ärgerte. Wenn ich heulte, sah ich immer furchterregend aus, sodass ich es mir angewöhnt hatte, nach rührseligen Filmen im Kino durch die Hintertür zu verschwinden, damit die anderen Besucher meine geschwollenen Augen und meine rote Nase nicht sahen.
Aber selbst der Anblick dieser zarten Tränen schien für Harris unerträglich zu sein. Ich sah, wie er sie kurz anschaute und sich dann schnell wieder abwandte. Ein Ausdruck von Schmerz glitt über sein Gesicht, als würden ihre Tränen ihn in brutaler Weise daran erinnern, was er verloren hatte. Einen Augenblick sah es so aus, als wollte er sich ihr entziehen, aber sie ließ seinen Arm nicht los. Offensichtlich war ihr Bedürfnis nach Rückhalt stärker als seines nach Distanz von ihr und ihrer Trauer.
„Sie und Brian haben sich sehr nahegestanden“, murmelte Jill neben mir. Ich sah sie mit erhobener Augenbraue an, und sie schüttelte den Kopf. „Nicht, was du denkst“, sagte sie mit gerümpfter Nase. „Sie war seine Stiefmutter, aber nach allem, was ich gehört habe, ist sie ihm eine bessere Mutter gewesen als seine leibliche.“
„Und was ist mit seiner leiblichen Mutter?“
„Die erste Mrs. Roth? Oh, sie ist vor etwas mehr als zehn Jahren gestorben. Irgendeine Art Krebs, glaube ich.“
Ich verzog in angemessener Weise das Gesicht.
„Der Richter hat Rachel weniger als ein Jahre später geheiratet“, fuhr Jill fort. „Ich denke, die meisten Leute haben geglaubt, es würde nicht halten und dass er sich nur trösten wollte, aber inzwischen sind fast zehn Jahre vergangen.“ Sie zuckte die Achseln. „Sie haben sich alle
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