Vom Daemon verweht
Nägel sahen zwar fürchterlich aus, aber ich hatte gesiegt.
Ich zog den Band ans Licht heraus und betrachtete ihn. Von außen fanden sich keinerlei Hinweise auf seine Bedeutung. Das Buch war groß – etwa so groß wie Timmys Bilderbücher, aber dicker als sein geliebter Band Gute Nacht, kleiner Bär. Es war etwa drei Zentimeter breit. Und im Gegensatz zu Timmys bunten Geschichtenbüchern war es in dunkelrotes Leder gebunden, das an einigen Stellen aufgesprungen oder über die Jahre stark verkratzt worden war. Auf dem Buchrücken mochte sich irgendwann ein Titel befunden haben, doch von den früher einmal goldenen Buchstaben waren nur noch winzige Fleckchen übrig geblieben.
Früher mochte dieses Buch bestimmt sehr imposant gewirkt haben. Doch jetzt war es mitgenommen und lädiert, und man konnte den eingestanzten Titel nicht einmal mehr ertasten. Nirgends war etwas zu entziffern, und es gab auch keine verräterischen dämonischen Symbole. Nur die Andeutung eines leicht erhobenen Dreiecks auf dem Buchdeckel, wenn ich mich nicht täuschte.
Nun gut.
Normalerweise halte ich mich an die Regel der Forza, Bücher nicht einfach zu öffnen, die ein Dämon versteckt oder auch gesucht hatte. Man konnte schließlich nie wissen, was man darin fand.
Doch in diesem Fall wollte ich die Regel zur Abwechslung einmal nicht beachten. Es ging nicht nur um ein x-beliebiges Buch eines Dämons. Ich musste herausfinden, was darin stand. Sinclair hatte gesagt, dass ich zu spät dran war, dass sich die Maschinerie bereits in Bewegung gesetzt hatte. Er war in die Schule eingedrungen – einen Ort, den ich bisher für sicher gehalten hatte. Vielleicht hatte ich bewusst nicht genau hinsehen wollen, aber das hatte es einfacher gemacht, wenn ich meine Tochter in die Welt hinausschicken musste, von der ich besser als jede andere Mutter wusste, wie gefährlich sie war.
Die Dämonen besaßen jedenfalls einen Plan, und dieses Buch gehörte dazu. Ich musste herausfinden, worum es sich handelte. Ich musste sicherstellen, dass für den Moment alles in Ordnung war. Dass sich nicht plötzlich Horden von Dämonen auf die Schule stürzen würden.
Mit anderen Worten: Ich musste wissen, ob meine Kinder in Gefahr waren.
Also legte ich das Buch auf einen alten Holztisch, bewaffnet mit einem Weihwasser-Feuchtigkeitstuch, um mich für den Fall der Fälle gegen die Kräfte des Bösen wehren zu können. Langsam hob ich den Deckel an.
Der Buchrücken knarzte, doch nichts Böses sprang mir entgegen. Auch keine Flammen der Hölle züngelten heraus. Ermutigt öffnete ich es ein wenig mehr und beugte mich herab, um in die Lücke zwischen Buchdeckel und oberstem Blatt zu schielen. Ich konnte nichts erkennen und wagte es, das Buch nun ganz aufzuschlagen.
Nichts.
Und das meine ich wörtlich: nichts.
Keine Dämonen. Keine Manifestationen. Nicht einmal ein Erscheinungsvermerk.
Einfach nur ein leeres Blatt Papier, das brüchig und fleckig war.
Ratlos blätterte ich den Rest des Bandes durch.
Nichts.
Alle Seiten waren leer. Das Buch enthüllte nichts von seinem Geheimnis, überhaupt nichts.
Ich drehte mich um, um die groteske Gestalt Sinclairs zu betrachten, dessen Kopf noch immer auf die Metallstange gespießt war.
»Was soll das? Worum geht es hier, Sinclair?«, wollte ich wissen.
Der Dämon jedoch weigerte sich stur, zu antworten.
Einen toten Dämon loszuwerden ist wesentlich schwerer, als es vielleicht klingt. Und falls Marissa mich in Gesellschaft einer Leiche entdeckt hätte, wäre außerdem klar gewesen, dass mich Coastal Mists garantiert nicht zu dem jährlichen Dankesdinner für die ehrenamtlichen Mitarbeiter eingeladen hätte.
Früher hätte ich einfach die Forza angerufen und den Vorfall gemeldet. Sie schickte dann ein Team, das darauf spezialisiert war, die Dreckarbeit zu erledigen. Doch in den letzten zehn Jahren oder so hatte die Forza Probleme, genügend Mitarbeiter zu finden, so dass es diese Möglichkeit nicht mehr gab. (Es hatte mich etwas überrascht, als ich vom Rückgang der Mitarbeiterzahlen bei der Forza erfuhr. Aber nachdem ich darüber nachgedacht hatte, begann ich es zu verstehen. Es ist ein hartes Leben, und was auf den ersten Blick vielleicht wie ein spannendes Computerspiel wirken mag, verliert doch im harschen Licht der Realität rasch seinen Reiz.)
Ich hätte versuchen können, den Körper selbst zu beseitigen und meinen neuen alimentatore zu bitten, mir zur Hand zu gehen. Aber das hätte bedeutet, dass die Leiche aus
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