Vom Daemon verweht
eingeschlossen.
»So, mein Junge«, sagte ich. »Jetzt wollen wir mal sehen.«
»Geschenk?«, fragte er neugierig.
»Ich weiß es nicht, Schatz. Aber ich glaube eigentlich nicht.«
Ich holte tief Luft und klappte den Deckel hoch, ohne die geringste Ahnung zu haben, was mich erwartete.
Nichts. Ich sah überhaupt nichts.
Ich runzelte die Stirn. Das konnte doch wohl nicht stimmen.
Ich hielt den Behälter hoch und schüttelte ihn. Und tatsächlich fiel ein gefaltetes Blatt Papier heraus. Für einen Moment starrte ich es an. Irgendwie war ich mir sicher, dass es von Eric stammen musste. Ich wollte es berühren, daran riechen, es an mein Herz drücken. Was ich allerdings nicht wollte, war, es lesen. Darin standen schlechte Nachrichten. In diesem Brief konnten nur schlechte Nachrichten stehen.
Für einen Augenblick überlegte ich, ob ich ihn nicht besser einstecken und später lesen sollte, wenn ich mich wieder etwas beruhigt hatte. Doch das wäre nicht richtig gewesen. Ich konnte dieses Zimmer nicht einfach wieder verlassen, ohne zu wissen, was auf diesem Blatt stand. Das wäre mir beinahe wie ein Betrug an Eric vorgekommen.
Das Papier stammte aus einem Notizbuch und war viermal gefaltet worden. Langsam machte ich es auf. Ich zögerte noch einen kurzen Moment, ehe ich den Brief offen vor mich hinlegte, ihn glattstrich und las:
Meine geliebte Katie,
ich schreibe diesen Brief, weil ich befürchte, zu weit gegangen zu sein. Wenn Du das liest, war meine Angst berechtigt. Es tut mir so leid. So schrecklich leid. Und ich liebe Dich. Du und Allie – Ihr seid meine Welt, mein Ein und Alles. Ich würde unsere gemeinsamen Jahre gegen nichts auf der Welt eintauschen wollen. Bitte vergiss das nie. Und stelle das auch nie in Frage.
Aber es gab gewisse Dinge, die ich tun musste, und ich hoffe, dass Du mir dafür vergibst. Ich möchte, dass Du weißt, was passiert ist, Katie. Du musst das zu Ende bringen, was ich begonnen habe. Ich bringe es zwar kaum über mich, Dich darum zu bitten, und bedaure zutiefst, diese Tür überhaupt geöffnet zu haben. Aber einige Türen lassen sich nicht mehr schließen, wenn man sie einmal aufgemacht hat. Wir haben es trotzdem versucht – nicht wahr? Und ich wünschte mir nichts mehr, als dass es uns gelungen wäre. Aber es ist uns nicht gelungen. Es gab einen Riss. Und alles, was wir hinter uns glaubten, drang auf einmal wieder in unser Leben.
Ich weiß, dass Du nicht verstehst, was ich meine. Zumindest noch nicht. Ich würde es Dir gern in einfachen Worten erklären, aber das ist unmöglich. Denn ich weiß nicht sicher, ob dieser Brief auch wirklich in deine Hände gelangen wird. Deshalb will ich es nicht riskieren, Dir die ganze Geschichte hier zu erzählen. Aber wenn Du das Beste von uns betrachtest, hast Du bereits all das, was Du brauchst, um mehr zu verstehen. Zumindest für den Beginn.
Geliebte Katie, bitte passe auf Dich auf. Sei vorsichtig. Ich war nicht vorsichtig genug. Bitte, mein Liebling – mach nicht denselben Fehler wie ich.
Auf ewig der Deine,
Eric
Ich las den Brief zweimal hintereinander und hielt nur inne, weil mir die Worte vor den Augen verschwammen. Tränen strömten mir über das Gesicht. Sie fielen von meinen Wangen auf das Papier. Ich wischte sie weg und drückte dann den Brief an mein Herz.
»Mami?« Timmy stand neben mir und streichelte mir über den Arm. Ich schaffte es, ihn unter Tränen anzulächeln, und hob ihn auf meinen Schoß. Er sah mich mit großen, ernsten Augen an und küsste mich auf die Wange. »Küssen und wieder heile«, sagte er. »Mami wieder heile?«
Ich nickte und antwortete ihm mühsam: »Ja, wieder heile. Danke, Schätzchen.«
Aber das stimmte nicht. Es stimmte ganz und gar nicht. Denn so verschlüsselt dieser Brief auch sein mochte, war eine Sache doch zweifellos klar: Eric war damals nicht das Opfer eines zufälligen Raubüberfalls geworden.
Mein Mann war von jemandem gezielt ermordet worden.
Timmy musste gespürt haben, wie mir zumute war, denn er benahm sich nicht nur auf dem Nachhauseweg vorbildlich, sondern warf mir vom Rücksitz aus auch immer wieder kleine Kusshändchen zu. Habe ich nicht einen wunderbaren Jungen?
Ich brauchte diese Küsse, denn ich hatte das Gefühl, vor Schuldgefühlen kaum mehr Luft zu bekommen. Mord Die Polizei von San Francisco hatte nie auch nur angedeutet, dass es sich um einen vorsätzlichen Mord handeln könnte. Ihrer Theorie nach war es ein Raubüberfall gewesen, bei dem etwas schrecklich
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