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Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Titel: Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvester Walch
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Schattenaspekte. Hilfreich ist es, sich kurzzeitig mit deren Verhaltensweisen, die ich ablehne, zu identifizieren, um herauszufinden, ob sie nicht auch mir eigen sind.
    Sogar Personen, die man verehrt oder beneidet, sind in dieser Hinsicht bedeutend. Ein spiritueller Meister, der unermessliche Liebe und Mitgefühl ausstrahlt, spiegelt vielleicht auch Eigenschaften wider, die ich mir noch nicht zutraue. Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Erleben totaler Verbundenheit, wie es in Erleuchtungserfahrungen häufig beschrieben wird. Es ist ein Zustand der Grenzenlosigkeit, der existiert, aber aufgrund meiner Schranken noch nicht erkannt werden kann. Reintegrierte projizierte positive Zustände können so im Inneren neue Strukturen für spätere Erfahrungen bilden. In der spirituellen Übungspraxis sind dann Schattenaspekte wirksam, wenn man Schwierigkeiten hat, zu meditieren, loszulassen oder zu vertrauen. Auch Ego-Anteile, starke Anziehung, Abstoßung, Fixierungen, chronische Krankheiten oder Schicksalsschläge können Schattenaspekte widerspiegeln. Reichhaltiges Material finden wir in Angstträumen und Situationen des Erschreckens. Eine dunkle Gestalt, von der man entführt wird, ein Riese mit einer großen Keule oder bedrohliche Fabeltiere sind relevante Hinweise auf Schattenkonstellationen, die es sich bewusstzumachen gilt. Um sich aber wirklich öffnen zu können, muss man erst einmal akzeptieren, dass man sich selbst nur unzureichend kennt, dass es verwerfliche Strebungen in uns gibt und dass der Seinsumfang weit größer ist, als wir je zu ahnen glaubten. Der Schatten ist keine Sünde, sondern eine natürliche Daseinsbedingung und ein Tor zum Unbewussten. Dann ist davon auszugehen, dass sich etwas in uns gegen neue Erkenntnisse wehrt und wir intensiven Ängsten ausgesetzt sind, wenn wir mit diesen Energien in Kontakt kommen. Deshalb ist eine sichere und verlässliche Begleitung in der Schattenkonfrontation unerlässlich.
    Vom Ablauf her können folgende Phasen beobachtet werden: Man bemerkt, dass es etwas Unerlöstes gibt. Dann geht man tiefer in es hinein und nimmt wahr, womit es zusammenhängen könnte. Die begleitenden Emotionen und Affekte sollten jedoch nicht abgeschoben, sondern durchgearbeitet werden. Man muss sie radikal fühlen, spüren und schmecken. Wenn diese Mobilisierung einen Zusammenbruch der bisherigen Einstellungen und ein unabwendbares Chaos auslöst, dann ermutigen uns die spirituellen Schriften, einfach weiterzugehen, denn wer Gott näher kommen möchte, muss durch die dunklen Gebiete hindurch. Das Licht des universalen Selbst zeigt kontrastreich die Probleme auf, die zu bewältigen sind. So ist der Schatten auch ein Seismograph und verlässlicher Ratgeber, wo man in seiner Entwicklung wirklich steht und was man zu tun hat. Wenn man sich dem widersetzt, wird man nicht die Demut und Bescheidenheit erlangen, aus der erst echtes Mitgefühl, Hingabe und bedingungslose Liebe hervorgehen. Daraufhin stellen sich Entspannung und Frieden ein. Wenn ich dann auch noch verstehe, was geschehen ist, kann ich mich neu organisieren. Dadurch erweitert sich meine Identität. Der Weg zum Selbst oder zur Ganzheit ist also nur dann erfolgversprechend, wenn man den Schatten nicht ausklammert, sondern ihm begegnet. Um erleuchtet zu werden, darf man die Augen nicht vor dem verschließen, was unangenehm ist. Überwindet man diese Barriere, warten mannigfaltige Bereiche des Seins, die erkannt werden wollen, und außergewöhnliche Energien, von denen wir uns führen lassen können.

Erweiterung und Vertiefung des Bewusstseins
    Die genetischen Anlagen sowie die Lebens- und Kulturgeschichte begrenzen die Identität und die Erfassungskapazität des Bewusstseins. Das, was der Mensch zu sein glaubt, ist also nur ein Ausschnitt seines wirklichen Wesens. Wie am Beispiel des Schattens klargeworden ist, können diese willkürlich gesetzten Schranken geöffnet werden. Verwundert stellt man dann fest, dass man weit mehr ist als nur Lebensgeschichte, Rollen, Körper, sinnliche Wahrnehmung oder das bewusste Ich. Die Transpersonale Psychologie, die Ende der 60er Jahre aus der Humanistischen Psychologie hervorging, interessiert sich genau für diese Fähigkeit zur Transzendenz, die sogar im Alltag unbewusst wirksam ist. Während eines Spaziergangs folgt jemand mit einigen Metern Abstand und blickt zu seinem Vordermann, denkt vielleicht auch über ihn nach. Nach kurzer Zeit dreht sich dieser um, weil er etwas gespürt hat, obwohl er

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