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Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Titel: Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvester Walch
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Annahmen zu arbeiten, weil das Innere eines Menschen dadurch besser verstanden werden kann.
    Für den weiteren Verlauf dieser Untersuchung können folgende Linien skizziert werden:

     
Das Ego in spiritueller Sicht muss man vom Ich in psychologischer Hinsicht differenzieren.
Der spirituelle Weg benötigt ein gut funktionierendes Ich.
Das Ego gehört zur Natur des Menschen.
Das Ego kann mir und anderen schaden.
Das Ego trennt uns von der universellen Kraft der Liebe.
Das Ego zu transformieren ist eine große Herausforderung.

Das Ich
    Um später das Ego besser vom Ich unterscheiden zu können, soll zunächst darauf eingegangen werden, welche Eigenschaften und Aufgaben das Ich besitzt. Wenn wir uns einen Menschen mit einem funktionierenden Ich vorstellen, können wir ihn folgendermaßen charakterisieren:
    Er traut sich seinen Weg zu gehen, auch gegen äußere Widerstände, denn er weiß, was er will und was dafür zu tun ist. In Gesprächen wirkt er authentisch, lebendig und aufrichtig. Er äußert, manchmal auch gegen die Mehrheit, klar seine Meinung. Rückschläge, Niederlagen und Enttäuschungen entmutigen ihn nicht, sondern er ist bereit, sich zu stellen und daraus zu lernen. Auch weicht er vor Konflikten nicht zurück, kann Kompromisse schließen und trägt konstruktiv zu gemeinsamen Lösungen bei. Man kann sich auf ihn verlassen, mit ihm über vieles sprechen, und er ist auch in der Lage zu verzeihen. Er ist tolerant, kann Fremdes zulassen und sich auf Beziehungen einlassen. Dabei erwartet er von seinem Partner nichts Unmögliches. Er steht mit beiden Beinen im Leben und ist sich bewusst, dass es zu Störungen und Widrigkeiten kommen kann. Krankheiten und Schicksalsschläge kann er verarbeiten. Dabei zeigt er seine Gefühle und ist auch in der Lage zu kapitulieren, wenn er selbst nicht mehr weiß, wie es weitergeht. Er fühlt sich autonom und selbständig. Gleichzeitig erkennt er, dass er in größere Zusammenhänge eingebettet ist, die nicht durch seine Aktivitäten verändert werden können. So erkennt er auch seine Abhängigkeiten und sein Angewiesensein auf andere. Demzufolge kann er sich auf neue Entwicklungen gut einstellen und weiß, dass er den Lauf der Dinge nicht vollends kontrollieren und beherrschen kann.
    Natürlich ist mir bewusst, dass wir diese Merkmale eines gesunden Ich nie vollständig manifestieren werden, sondern uns diesem Idealbild nur annähern können. Lassen wir für einen Moment diese Beschreibung auf uns wirken, um wahrzunehmen, worin wir uns wiedererkennen und an welchen Aspekten wir zu arbeiten haben.

    Ein Mensch, der diese Fähigkeiten weitgehend ausgebildet hat, kann als charakterstark oder als eine »echte Persönlichkeit« beschrieben werden. Andererseits wissen wir, dass Menschen, die wenig Ich-Stärke zur Verfügung haben, als schwach, labil, unberechenbar und ohne festen Grund erlebt werden. Da diese Persönlichkeitsmerkmale überwiegend mit Sozialisationsbedingungen und konstitutionellen Faktoren zusammenhängen, sind moralische Bewertungen und vorschnelle Urteile unangebracht.
    Zusammenfassend kann gesagt werden, dass ein gut funktionierendes Ich für die Entfaltung der menschlichen Potenziale unverzichtbar ist. Ich-Verlust oder Ich-Schwäche ist immer gleichzusetzen mit fehlender Anpassungs- und Entwicklungsfähigkeit.
    Um Missverständnissen vorzubeugen, sollen hier noch zwei Differenzierungen eingeführt werden: Der Begriff Persönlichkeit geht über den des Ich hinaus, denn er beschreibt das erkennbare Profil eines Menschen, in das auch die lebensgeschichtlichen Prägungen mit einfließen. Identität ist das Bild, das ich von mir habe. In dem, wie ich mich sehe, verschränken sich immer Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung. Wie das organisiert und reguliert wird, gehört wieder zu den Aufgaben des Ich.

    Freud (vgl. 1975) führte 1923 in der Strukturhypothese den Begriff Ich ein, neben Über-Ich (Moralvorstellungen) und Es (Triebkräfte). Für ihn besteht das Ich aus jenen Funktionen, die mit der Beziehung des Individuums zu sich selbst und seiner Umwelt zu tun haben. Es hat die Aufgabe, zwischen Es und Über-Ich so zu vermitteln, dass eine gesunde Integration der Persönlichkeit stattfinden kann.
    In der Nachfolge Freuds wurde das Ich dann zu einem zentralen Begriff, um den sich eine ganze Psychologie entwickelte – die Ich-Psychologie. Auf das Wesentliche beschränkt sieht sie im Ich den Organisierungsprozess lebensnotwendiger psychischer Funktionen: wie der

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