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Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Titel: Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvester Walch
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Emotionen ausgeklammert oder abgewertet werden, wie es manchmal in spirituellen Gemeinschaften vorkommt. Empörung, Wut, Ärger oder Schmerz sind natürliche Emotionen, die uns anzeigen, dass etwas in Unordnung ist. Wenn jedoch jemand obengenannte destruktive Emotionen einseitig empfindet und nicht mehr fähig ist, Freude, Liebe, Glück oder Dankbarkeit zuzulassen, dann ist es wichtig, daran zu arbeiten, weil sie den inneren Fortschritt behindern. Das Ego wirft so einen Schatten auf die innere Weisheit, die Bewusstwerdung, auf das eigene Wachstum und das Erleben von Verbundensein. Das führt uns zu einer weiteren Betrachtungsweise des Ego.

    Aus unintegrierten Schattenaspekten, also jenen Eigenschaften, die wir ablehnen, werden Ego-Anteile geformt. Da sie schambesetzt sind, werden sie abgewehrt und in andere Personen projiziert. Zeigt nun jemand anderer diese Verhaltensweisen, werden sie aufs heftigste beim anderen bekämpft. Der Schatten wird also verdrängt und in andere hineinverlagert. Um damit nicht in Kontakt zu kommen, errichte ich strenge Grenzen und verurteile Personen, die diese Eigenschaften verkörpern. Das ist der Kern von Abneigung, Manipulation, Kontrolle und Verstrickung in zwischenmenschlichen Beziehungen, die bis zu Mord, Selbstmord oder Krieg reichen können.
    In psychotherapeutischen Prozessen wird bewusst, dass jene Wesenszüge, die ich bei anderen beanstande, auf meine eigenen Probleme verweisen. Wenn ein Ehepartner den anderen der Untreue bezichtigt, versteckt sich in dieser Befürchtung nicht selten der eigene Wunsch nach einem sexuellen Abenteuer. Eifersüchtig wird nun die Korrespondenz kontrolliert und jeder Wunsch des Partners, Bekannte zu treffen, mit erbitterten Vorwürfen beantwortet. Solange die wirklichen Motive nicht klarwerden, werden die Grenzen enger gezogen und die Konflikte weiter verschärft. Das Ego hat die Liebe verdrängt. Wahrnehmungen, die den eigenen Vorstellungen widersprechen, werden ausgeblendet oder umgedeutet. Die Fantasien werden gehässiger, die Auseinandersetzungen eskalieren, und die Kommunikationsfähigkeit wird eingeschränkter. Aus Nebenkriegsschauplätzen konstellieren sich zusätzliche Konfliktthemen. Aus diesem Teufelskreis auszubrechen fällt außerordentlich schwer, weil das Ego auch tiefsitzende Lebensängste, die ins Unbewusste verdrängt wurden, kompensieren möchte, was allerdings nur schwer gelingt. Die Abspaltung von Schattenanteilen durch Verleugnung, Projektion, Verkehrung ins Gegenteil und Kontrolle sind genau jene Mechanismen, die auch die Ego-Bildung fördern. So entstehen in der Psyche unerlöste Anteile, die sich verhärten und Ablehnung hervorrufen.
    Da man mit den projizierten Aspekten noch identifiziert bleibt, bilden sich sogenannte Introjekte. Obwohl andere die Zielscheibe sind, belade ich mich selbst, weil sich die Ablehnung dann auch gegen meine Person richtet und zu unbewussten Konflikten bis hin zu psychosomatischen Leiden führt. Manchmal kommen diese fundamentalen Unsicherheiten durch Belastungssituationen abrupt in den Vordergrund. Aktualisierte Minderwertigkeitskomplexe werden dann als Kehrseite der Überheblichkeit sichtbar.
    Das Gefühl, minderwertig, schwach oder unfähig zu sein, kann somit auch eine Eigenschaft des Ego sein. Die Destruktivität richtet sich dann gegen die eigene Person, die unangemessen abgewertet wird. Fähigkeiten und Talente werden ignoriert und bisherige Leistungen verleugnet. Sein Licht unter den Scheffel zu stellen deutet, so gesehen, auch auf eine Ego-Verstrickung hin. Allerdings wird das von Bezugspersonen häufig nicht in diesem Sinne wahrgenommen, weil der Kampf im Inneren tobt. Selbstschädigende Strategien betreffen in letzter Konsequenz natürlich auch die Welt, weil ich meine Potenziale der Gesellschaft gegenüber verweigere.

    Eine maßgebliche Wurzel des Ego ist das Gefühl der Getrenntheit. Um besser zu verstehen, was damit gemeint ist, gehen wir zunächst von der bekannten und notwenigen Tatsache aus, dass wenn ich »Ich« oder »Nein« sage, ich mich von etwas abgrenze oder trenne. Um nun nicht, was häufig in dieser Diskussion geschieht, die Geburt des Ich mit dem Entstehen des Ego gleichzusetzen, muss auch hier differenziert werden.
    In unserer Lebensspanne finden wir mehrere signifikante Schnittstellen, in denen Reifungsschritte absolviert werden müssen: Zeugung – pränatale Phase – Geburtsprozess – Säuglingsalter – Trotzalter – Pubertät – Übergang zwischen Jugend

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