Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes
ist ausgedünnt, gestaltet sich sonderbar autistisch oder findet gar nicht mehr statt.
Das Erleben ist ambivalent und kann leicht von einem Zustand in den anderen kippen, vom Lachen ins Weinen oder von abrupten affektiven Entladungen bis hin zu katatonen Erstarrungsphänomenen.
In den meisten Fällen ist eine medikamentöse Stützung vonnöten. Psychotherapeutische Maßnahmen können helfen, den unweigerlichen sozialen Rückzug zu bremsen und den Betroffenen aus dem Gefängnis dieser Welten zu befreien. Kontaktbarrieren können abgebaut und Vertrauen kann geweckt werden, wenn man die verrückten Bemerkungen ernst nimmt und den Patienten nicht vom Gegenteil überzeugen möchte. Durch die verlässliche und mitfühlende therapeutische Beziehung werden nämlich lockere Selbstkonfigurationen angebahnt. Dann sollten die der Person eigentlich zugeordnete Stimme und die individuellen Bedürfnisse aus dem polyphonen Chor herausgespürt werden, um ihren Einfluss zu steigern.
Man darf sich nicht in seiner empfindsamen Teilhabe beirren lassen, wenn auf Wohlfühltage rasch schlechte Tage voller Bedrängnis folgen, denn geteiltes Leid ist auch hier halbes Leid. Durch die Präsenz und Resonanz des Therapeuten können die eigenen Wünsche eindeutiger und als zu sich selbst gehörig identifiziert werden: »Ich wäre gerne mal mit einer Frau zusammen« oder »Ich würde gerne ein Fußballspiel besuchen«. Nun gilt es, durch weiterführende Explorationen erwünschte Handlungen im Geiste durchzuspielen, um zu realisieren, dass man selbst etwas bewirken kann. Erst wenn ich mich selbst wieder als Ursprung des Handelns empfinde und über meine Fähigkeiten verfüge, können neue Spielräume entstehen. Gleichzeitig kann man lernen, von gängelnden Stimmen und furchterregenden Bildern einen Schritt zurückzutreten. Wenn jemand einen metzelnden Teufel sieht oder aufgefordert wird, den Fernseher während eines spannenden Filmes auszuschalten, kann man sich etwa mit folgenden Sätzen davon distanzieren: »Das ist eine Erscheinung«, »Das hat nichts mit mir zu tun«, »Ich ignoriere das, denn es ist nur ein Geräusch«. Hilfreich ist auch, an etwas anderes, das mir Spaß macht, zu denken, den Kopf zu drehen und sich auf eine andere Wahrnehmung zu konzentrieren oder einfach die Hände auf den Bauch zu legen und bewusst dorthin zu atmen.
Diese Maßnahmen können zwar die Wahnwahrnehmungen nicht verhindern, aber relativieren, so dass sich der Betroffene aus der vollen Identifikation etwas löst und einen Abstand dazu einnimmt. Das Selbst kann so wieder besser mit dem eigenen Willen verknüpft werden und neue Prioritäten aufbauen. Das sind kleine Schritte und langwierige Prozesse, die auch von empfindlichen Krisen heimgesucht werden können. Insbesondere dann, wenn der Therapeut im Wahnsystem zu einer bösen Stimme wird. Wenn man diese Stimme isoliert, indem man zwischen der eigentlichen Person und seiner als Vorstellung erscheinenden Stimme unterscheidet, kann der Therapeut wieder in seine vertrauensvolle Position zurückkommen.
Mit Menschen in psychotischen Zuständen kann durchaus auch an der Integration von Gefühlen, zwischenmenschlichen Konflikten oder unbewussten Motiven gearbeitet werden. Dabei sollten soziale Hilfestellungen, die sekundären Krankheitsfolgen betreffend, nicht zu kurz kommen. Das kann sich beispielsweise um Unterstützung bei der Suche einer Wohngemeinschaft, der Organisation von Unternehmungen oder gesellschaftlicher Anlässe handeln. Verletzungen, die durch eine mögliche Einweisung in die Psychiatrie, Kontaktabbrüche von Freunden oder Ablehnung von engsten Verwandten zugefügt wurden, sollten entdramatisierend behandelt werden. Auch wenn noch psychotische Erscheinungen zurückbleiben, können sie seltener auftreten und als weniger drangvoll erlebt werden, so dass eine begrenzt autonome Lebensweise durchaus möglich scheint. Wenn ich an den obengenannten Patienten denke, käme er ohne die verständnisvolle Betreuung seiner Eltern, regelmäßige Termine beim Psychiater und kontinuierliche psychotherapeutische Begleitung wohl nicht um eine Hospitalisierung herum.
An dieser Stelle muss nochmals darauf hingewiesen werden, dass im Zuge der antipsychiatrischen Bewegung und der aufkommenden transpersonalen Psychologie das Leiden von Menschen mit psychotischen Erkrankungen manchmal unterschätzt oder gar als durchbrechendes metaphysisches Bewusstsein missverstanden wurde. Nach heutigen Erkenntnissen ist in den meisten
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