Vom Ende einer Geschichte
geschickt haben.«
»Das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen.«
»Haben Sie es denn selbst gesehen?«
»Nein.« Sie war nicht ungefällig, eher angemessen vorsichtig.
»Hat Veronica Ford irgendwelche Gründe genannt, warum sie es nicht aushändigen will?«
»Sie sagte, sie sei noch nicht bereit, sich davon zu trennen.«
Aha. »Aber es gehört doch mir?«
»Es ist Ihnen auf jeden Fall testamentarisch vermacht.«
Hmm. Ich überlegte, ob es eine juristische Spitzfindigkeit gab, die diese beiden Aussagen voneinander unterschied. »Wissen Sie, wie sie … in dessen Besitz gekommen ist?«
»Soweit ich weiß, wohnte sie in den letzten Jahren nicht weit von ihrer Mutter entfernt. Sie sagte, sie habe verschiedene Gegenstände in Verwahrung genommen. Für den Fall eines Einbruchs. Schmuck, Geld, Dokumente.«
»Ist das gesetzlich erlaubt?«
»Nun ja, es ist nicht verboten. Es kann eine vernünftige Vorsichtsmaßnahme sein.«
Wir kamen anscheinend nicht recht voran. »Damit ich das recht verstehe. Sie hätte Ihnen dieses Dokument, dieses Tagebuch aushändigen sollen. Sie haben darum gebeten, und sie weigert sich, es zu übergeben.«
»So sieht es im Moment aus, ja.«
»Können Sie mir ihre Adresse geben?«
»Dazu bräuchte ich ihre Genehmigung.«
»Würden Sie diese Genehmigung dann freundlicherweise einholen?«
Ist dir schon mal aufgefallen, dass man sich, wenn man mit Leuten wie Anwälten spricht, nach kurzer Zeit nicht mehr wie man selbst anhört, sondern so wie sie?
Je weniger Lebenszeit einem bleibt, desto weniger will man sie verschwenden. Ist doch logisch, nicht wahr? Wozu man die eingesparten Stunden dann benutzt … tja, das ist wieder etwas, was man in der Jugend wohl nicht vorhergesehen hätte. Ich zum Beispiel verbringe viel Zeit mit Aufräumen – dabei bin ich nicht mal ein unordentlicher Mensch. Aber das ist eine der bescheidenen Freuden des Alters. Ich achte auf Ordnung; ich recycle; ich putze meine Wohnung und halte sie in Schuss, damit sie nicht an Wert verliert. Ich habe mein Testament gemacht; und mein Verhältnis zu meiner Tochter, meinem Schwiegersohn, meinen Enkelkindern und meiner Exfrau ist zwar nicht perfekt, aber doch geklärt. Zumindest rede ich mir das ein. Ich habe einen Zustand der Friedfertigkeit, ja der Friedlichkeit erreicht. Weil ich die Dinge in die Hand nehme. Ich mag keine Unordnung, und ich mag auch keine Unordnung hinterlassen. Ich habe mich für eine Feuerbestattung entschieden, falls es dich interessiert.
Darum rief ich Mrs Marriott noch einmal an und fragte nach den Kontaktdaten von Mrs Fords anderem Kind, John, genannt Jack. Ich rief Margaret an und fragte, ob wir uns mal zum Lunch treffen könnten. Und ich machte einen Termin bei meinem eigenen Anwalt. Nein, das klingt viel zu pompös. Bruder Jack hat bestimmt jemanden, den er »meinen Anwalt« nennt. Bei mir ist das der Mann hier am Ort, der auch mein Testament aufgesetzt hat; er hat eine kleine Kanzlei über einem Blumengeschäft und kommt mir ganz tüchtig vor. Ich mag ihn auch, weil er nie versucht hat, mich mit Vornamen anzureden, oder mir angeboten hat, ihn mit seinem Vornamen anzureden. Also ist er für mich nur T. J. Gunnell, und ich stelle nicht einmal Vermutungen darüber an, was seine Initialen bedeuten könnten. Weißt du, wovor ich Angst habe? Dass ich einmal alt bin und im Krankenhaus liege und Krankenschwestern, die ich überhaupt nicht kenne, mich Anthony nennen oder, schlimmer noch, Tony. Ein kleiner Piks in den Arm, Tony. Noch ein Löffelchen Brei, Tony. Hast du Stuhlgang gehabt, Tony? Natürlich, wenn es so weit ist, wird allzu große Vertraulichkeit des Pflegepersonals wohl meine geringste Sorge sein; aber trotzdem.
Als ich Margaret kennenlernte, habe ich etwas leicht Verrücktes gemacht. Ich habe Veronica aus meiner Lebensgeschichte gestrichen. Ich habe so getan, als wäre Annie meine erste richtige Freundin gewesen. Ich weiß, die meisten Männer übertreiben, wenn sie erzählen, wie viele Mädchen und wie oft sie Sex hatten; ich habe das Gegenteil getan. Ich habe einen Schlussstrich gezogen und einen neuen Anfang gemacht. Margaret war ein bisschen erstaunt, dass ich so ein Spätentwickler war – nicht beim Verlust der Jungfernschaft, sondern bei einer ernsthaften Beziehung; aber sie fand es, wie ich damals dachte, auch ein bisschen liebenswert. Sie sagte, Schüchternheit sei bei einem Mann doch ganz attraktiv.
Das eigentlich Verrückte war, dass es mir leichtfiel, meine Geschichte in
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