Vom Finden der Liebe und anderen Dingen (German Edition)
jetzt über zwei Monate kennen? Am ersten Sommertag sind wir uns begegnet. Danke für alles, Joe. Wiedersehen.«
»Wiedersehen«, sagte ich.
Ich stellte mich mit meiner Büchertasche in die Schlange und gab dem Fahrer mein Ticket, dann stieg ich in den Bus und setzte mich, während auch die anderen einstiegen. Der Bus war bereits halb voll, und mir wurde gleich schon schlecht, weil es da drin so übel roch. Jemand setzte sich mit zwei schreienden Babys neben mich. Dann dachte ich, vielleicht hätte ich das alles aufhalten können, wenn ich nur was anderes gesagt oder getan hätte. Ich drängte mich aus dem Bus und rannte durch den Busbahnhof auf den Parkplatz, wo Julia gerade den Kofferraum von Alvins Wagen ausräumte. Sie sah noch schöner aus als gerade eben, als ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Es war, als hätte sie, seit sie mich verlassen hatte, geduscht und geschlafen.
»Möchtest du noch was essen?«, sagte ich. »Bevor du wegfährst?«
Julia sah zum Himmel hoch, wo ein Flugzeug dahinflog. Sie warf die Schlüssel in die Luft und fing sie auf. »Ich muss jetzt wirklich los.«
»Sicher?«
»Ich bin doch mit meinem Dad zum Abendessen verabredet.«
»Ist er wirklich kriminell?«
»Das weißt du doch.«
»Wirst du auch kriminell?«
Julia lächelte. »Mal sehen.«
»Umarmst du mich noch mal?«
»Du verpasst noch den Bus.«
»Aber ich brauche es.«
Wir hielten uns eine Weile neben Alvins Wagen in den Armen. Als sie sich zurückzog, zeigte sie auf meine leere Schulter. »Wo hast du denn deine Büchertasche?«
»Im Bus.«
»Geh jetzt mal wieder rein. Sonst fährt er ohne dich ab.«
»Behalt mich bitte nicht so in Erinnerung.«
»Wie denn?«
»So traurig.«
Julia lachte.
»Keine Sorge. Ich verspreche dir, dass ich mich nur an die schönen Zeiten erinnere. Bald wirst auch du dich nur noch daran erinnern.« Sie rasselte mit den Schlüsseln in der Hand. »Okay, ich steige jetzt in den Wagen.«
»Okay.«
Sie stieg ein.
»Ich fahre jetzt weg. Wiedersehen.«
»Wiedersehen«, sagte ich. »Wiedersehen, Julia.«
»Wiedersehen, Joe.«
Ich sah ihr nach, dann ging ich wieder in den Busbahnhof. Julia hatte recht gehabt, dass ich den Bus verpassen würde. Einer der Fahrer sagte, er sei vor drei Minuten abgefahren. Nun hatte ich meine Büchertasche, Houstons Jacke, überhaupt alles verloren. Das war mir eigentlich alles egal, nur nicht das Foto von Julia.
Ich verbrachte die ganze Nacht auf der Bank, bis morgens wieder ein Bus fuhr. Ich bekam den letzten freien Platz und blieb zwei Tage lang darauf sitzen, neben einem Mann, der nach Kalifornien fuhr, um seine Familie zu besuchen. Er reiste sechs Mal im Jahr durchs ganze Land, um seine Kinder zu sehen, die er dort hatte. Später kippte er mir kochend heißen Kaffee über die Beine.
Am Nachmittag trafen wir dann in Los Angeles ein, und mein letztes Geld gab ich für ein Taxi nach Sherman Oaks aus. Alle Wohnungen sahen genau wie sonst aus. Irgendwann erinnerte ich mich dann wieder, wo Marcus wohnte – wegen des lila gestrichenen Eisenzauns um den Swimmingpool –, doch als ich vor seiner Tür stand und von drinnen nichts als Singen hörte, fragte ich mich doch, ob es auch die richtige war.
Es war ein großartiger Gesang, aber auch völlig anders als der von Ms Delancey. Ms Delanceys Gesang brachte einen zum Weinen, dieser hier jedoch erleichterte einem das Atmen. Ich hätte nichts dagegen gehabt, den ganzen Tag dazustehen und ihm zuzuhören, aber das war wahrscheinlich illegal. Als ich klingelte, brach der Gesang ab, und ein Mädchen in Flipflops öffnete die Tür. Sie trug ein schickes, orangefarbenes Tanktop, und ihre leuchtenden schwarzen Haare waren offen. Kaum hatte ich sie gesehen, fiel mir ein, dass Marcus ja gar nicht mehr da wohnte. Er war nach China gegangen, Basketball spielen, und würde nie mehr für mich da sein.
Das Mädchen hatte ein Drehbuch in der Hand. Sie sah mich an und wartete.
»Du singst sehr schön«, sagte ich. »Bist du Schauspielerin?«
Sie nickte und lächelte. Es war kein sehr freundliches Lächeln, aber das konnte ich ihr nicht verdenken. Ich war ja nur ein Fremder, der bei ihr an der Tür geklingelt hatte.
»Ich bin Marcus’ Bruder«, sagte ich.
»Wer?«
»Der, der vorher hier gewohnt hat.«
»Ah, Marcus. Richtig. Und du bist also sein Bruder. Wie war noch mal dein Name?«
»Joe.«
»Richtig. Er hat von dir gesprochen. Er ist vorbeigekommen und hat was für dich dagelassen, falls du mal reinschaust.
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